8
Mai
2006

Heilkundige Frauen oder Unheilverkünderinnen?

Was ist dran am Mythos Hexe?



‚Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. […] Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: „Wo bist du?!“ Er antwortete: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin und versteckte mich.“ Darauf fragte er: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?“ Adam antwortete: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen.“ Gott, der Herr, sprach zu der Frau: „Was hast du da getan?“ Die Frau antwortete: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.“ […] Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde die Mutter alles Lebendigen. Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit. Dann sprach Gott, der Herr: „Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Daß er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Boden des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!“ Gott der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er gekommen war. Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.’

Aus: Moses 3.I




Seit der Vertreibung aus dem Paradies gilt die Frau als die sündige Verführerin und wird für besonders anfällig für alle Arten von Laster, Verführung und Ausschweifungen gehalten. Eva hatte sich vom Teufel in Gestalt der Schlange verführen lassen, und damit war die offensichtliche Schwäche des weiblichen Geschlechts für den Satan hinlänglich bewiesen. Im Gegensatz zu Zauberern, die sich ihres Tun voll und ganz bewusst waren, waren Hexen mit ihrer eindeutigen Neigung zum Visionären und Übersinnlichen meist willenlose Opfer satanischer Tücke und Sprachrohr des Bösen.
Hexen und zauberkundige Männer und Frauen sind auch vor- und nachchristlichen Religionen auf der ganzen Welt bekannt, und auch der Unterschied zwischen böser und guter Magie existiert seit Menschengedenken. Allerdings wird die dämonische Rolle seit jeher der Frau zugeschrieben: So galt in antiken Göttersagen zum Beispiel Medea, die Tochter des Königs Aietes von Kolchis, neben Kirke als Inbegriff der Zauberei. Das Schreckensbild der bösen Hexe, die Schadenzauber betreibt, lässt sich durch viele Jahrhunderte und nahezu alle Kulturen zurückverfolgen, selbst in Babylonischen Keilschriften finden sich bereits Hinweise auf den Missbrauch von Magie durch Frauen.



Bis zum Mittelalter gehörten Hexen und Zauberer zum alltäglichen Leben; sie waren ein Bestandteil des mystischen Glaubens in der Bevölkerung. Magische Riten waren in Volksglauben und Volksbrauch fest verankert. Vor allem Männer, die sich magischer Künste rühmten, genossen lange Zeit an zahlreichen Herrscherhöfen ein hohes Ansehen. Auch die Hexen wurden nicht immer nur mit dem Teufel in Verbindung gebracht und als bösartig eingeschätzt. Die zauberkundigen Frauen setzten ihren geheimen übernatürlichen Kräfte zum Wohle ihrer Mitmenschen ein und wurden als Mittlerinnen zwischen Natur und Kultur gleichermaßen gebraucht und verehrt. Gewiß hatten ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, die ihnen Macht verschafften, für das allgemeine Empfinden schon immer etwas Dunkles und Unheimliches an sich, und das Volk brachte ihnen Bewunderung Respekt zugleich entgegen. Doch kamen sie keineswegs mit dem Gesetz in Konflikt, solange sie die Magie nicht zu bösen Zwecken anwandten.
Zauberkundige Menschen, die anderen Schaden zufügten, wurden allerdings schon immer verfolgt und hingerichtet. Und so lebten nicht nur Hexen, sondern auch Magier, Zauberer und Schamanen in allen Epochen mit der Gefahr, sich beim Versagen ihrer magischen Kräfte dem Zorn ihrer Mitmenschen auszusetzen. Auch sie wurden bei Fehlbehandlungen als Kurpfuscher verachtet, von der Justiz zur Rechenschaft gezogen und im schlimmsten Fall sogar getötet. Allerdings fanden nur sehr vereinzelt Hexenprozesse statt; von einer systematischen Verfolgung der heil- und zauberkundigen Frauen kann bis zum 15. Jahrhundert noch keine Rede sein.



Die Frau als Hüterin der Geheimnisse um das Wohl des Menschen, um seine Zeugungskraft und Fruchtbarkeit hatte in der abendländischen Kultur ihren festen Platz. Lange Zeit waren Priesterinnen stets auch Heilerinnen, das geheime botanische Wissen um Kräuter, Massagen und Tinkturen und deren Heil- und Giftwirkung zeichnete die weisen Frauen aus. Die Frau beherrschte im Mittelalter das Gesundheitswesen; anders als die Männer hatte sie eine sehr enge Bindung an Garten und Natur, etwa den Kräften des Mondes.
Die meisten heilkundigen Frauen waren Pflegerin, Ärztin, Ratgeberin und Hebamme in einer Person; sie wurden bei Krankheiten und Entbindungen gerufen, um zu heilen und zu helfen: gleichgültig, ob Nasenbluten, Gicht, Warzen, Erkältungen oder einfach nur gegen Liebeskummer und Depressionen – es gab kaum ein körperliches oder seelisches Leiden, bei dem sie keine Abhilfe schaffen konnten. Sie waren mit den meisten Heilkräutern vertraut, kannte die besten Standorte selbst äußerst seltener und begehrter Exemplare und wussten, wann und wie gepflückt werden mussten, damit sie ihre magische Wirkung am besten entfalten konnten. So durften einige Pflanzen nur zu ganz bestimmten Stunden oder ausschließlich bei zu- oder abnehmendem Mond gesammelt werden. Bei manchen Kuren oder Behandlungsmethoden war dagegen zu beachten, dass sie nur bei Vollmond durchgeführt werden durften.
Die Naturbeherrscherinnen verwendeten anregende Kräuter wie Bärlauch, Huflattich und Löwenzahn etwa bei Erkältungskrankheiten ebenso kundig und gewandt, wie sie Gundelkraut oder Minze gegen Alpträume einsetzten. Als Hebammen kannten sie zum Teil bis zu einhundert verschiedene Mittel; sie beherrschten die Möglichkeiten der Geburtenkontrolle, hüteten die Geheimnisse der Geburtshilfe und wussten um die natürlichen Mittel zur Abtreibung oder Schwangerschaftsverhütung. Die beruhigende Wirkung des Hopfens war ihnen ebenso vertraut wie die einschläfernden Wirkstoffe des Mohns oder die entzündungshemmenden Eigenschaften des Salbeis. Sie verstanden es, die richtigen Balsame zu mischen, kannten etwa die uterusanregende Wirkung der Petersilie oder die wehenfördernde von Eisenkraut und vermochten sie zur rechten Zeit einzusetzen.



Besonders die Betreuung von Schwangeren lag aus einsichtigen Gründen buchstäblich in den Händen der heilkundigen Frauen. Sie gaben Schwangeren wertvolle Ratschläge zur Ernährung, leisteten Beistand und Hilfe während der Geburt und versorgten die Neugeborenen. Sie kannten die am wenigsten schmerzhafte Gebärstellung, behandelten die werdenden Mütter mit wehenfördernden Tinkturen und halfen mit krampflösenden Tees die schlimmsten Schmerzen zu lindern. Damit jedoch zogen sie sich vielerorts den Zorn des Klerus zu. Denn schon die Kirchenväter postulierten, dass eine Geburt unter Schmerzen vonstatten gehen sollte. Schnell wurde den Hebammen ihre Kunst als Blasphemie ausgelegt.
Wie rasch sich das Ansehen einer heilkundigen Frau von gut zu böse wandeln konnte und wie ein tragischer Todesfall ausreichte, um ein ganzes Lebenswerk zunichte zu machen, zeigt exemplarisch der Fall Fall der Schul-Else aus dem Jahr 1672, die im Busecker Tal lange Jahre als geschätzte und kundige Frau zu den Bauern gerufen wurde. Mit ihren Kräuteraufgüssen hatte sie so manches Leiden gelindert, für fast alle Beschwerden hatte sie ein passendes Mittelchen parat, und als erfahrene Hebamme holte sie zahlreiche gesunde Kinder auf die Welt. Als sie eines Tages viel zu spät zu einer jungen Bäuerin gerufen wurde konnte sie das Neugeborene nicht mehr retten. Mit diesem Schicksalsschlag war ihr guter Ruf dahin. Sie wurde beschuldigt, das Kind getötet zu haben, um seine noch unbefleckte Seele dem Teufel zu weihen und anschließend aus dem Kinderleichnam eine Hexensalbe zu kochen. Und auch die zahlreichen Geschwülste und Gebrechen, die sie all die Jahre so erfolgreich geheilt hatte, sollte sie den Menschen angeblich mit Hilfe von dämonischen Mächten zuvor angehext haben. Als Beweis galten allerlei giftige Pflanzen, die man in ihrem Haus und dem Kräutergarten fand. Die Schul-Else wurde schließlich gefangengenommen und gestand ihre Tat auf der Folterbank.



Die Bevölkerung im Mittelalter hatte kaum Vertrauen zu den ausschließlich männlichen Ärzten und heilkundigen Priestern, die eher über theologisches Wissen als über praktische medizinische Erfahrung verfügten. Obwohl der Anbau von Nutz- und Heilpflanzen auch in den Klöstern weit verbreitet war, vermochten die Kleriker nicht mit der Kunst der heilkundigen Frauen zu konkurrieren. Bei Krankheiten und vor allem Geburten wurden die weisen Frauen gerufen. Gerade die Hebammen genossen hohes Ansehen und wurden, da sie Leben schenkten, beinahe als Heilige verehrt. Kein Wunder, dass der Klerus diese Frauen als eine Bedrohung ansah. Der Glaube an die Kraft der Natur und das Vertrauen in die heilende Wirkung der Kräuter – und nicht in den christlichen Gott – wurde den weisen Frauen schließlich als Häresie ausgelegt. Sie wurden der Ketzerei verdächtigt, und ihre Heilkunst, weil undurchsichtig und nicht auf kirchliche Schriften basierend, galt als Hexenwerk. Dabei schien besonders ihr alltägliches Leben die Frauen verdächtig zu machen. Die meisten Heilkundigen und Hebammen lebten ein wenig abseits, sie hielten sich – wohl auch wegen ihrer anstrengenden und zeitraubenden Tätigkeit – vom gesellschaftlichen Leben fern. Wenn sie seltene Kräuter sammelten oder Frauen bei der Geburt halfen, waren sie oft bei Nacht und Nebel unterwegs. All das genügte, um ihnen eine Nähe zum Düsteren und Schaurigen zu unterstellen. Besonders heikel wurde es für die heilkundigen Frauen naturgemäß, wenn ihre Heilkunst versagte. Dann waren sie den bösesten Verdächtigungen ausgesetzt – vor allem von seiten der Kirchen und ihren männlichen Konkurrenten, den Ärzten, Badern, Apothekern. Insbesondere die hohe Sterblichkeitsrate gab Verleumdern oftmals Anlaß, Hebammen, die ihre Kinder nur tot zur Welt hatten bringen können, bei der Obrigkeit anszuschwärzen. Die Angst, dass magische Kräuter nicht nur zum Wohl eines Menschen, sondern auch zu seinem Schaden eingesetzt werden konnten, war jedenfalls beim Volk weit verbreitet.



Der christliche Glaube ist auf das Jenseits fixiert und spricht dem Menschen die Befähigung ab, sein eigenes menschliches Schicksal beeinflussen zu können. Krankheiten werden als Prüfung oder gar Strafe Gottes angesehen, die auch nur von Gott oder mit Gottes Hilfe wieder rückgängig gemacht oder geheilt werden können. Wenn die weisen Frauen also mit ihrer Kunst Krankheiten kurierten, stellten sie sich damit – nach Ansicht des Klerus – gegen Gott und untergruben die Autorität der Kirche. Die Patienten bedurften der Hilfe Gottes nicht mehr, die Zaubertränke standen in direkter Konkurrenz zu Gebeten und Gottesglaube. Schließlich beanspruchten die christlichen Priester die Tätigkeit als Mittler zwischen Welt und Überwelt für sich.
Daß die heilkundigen Frauen, je mehr Misstrauen und Verfolgung zunahmen, dazu neigten, ihr Wissen geheimzuhalten, war verständlicherweise Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner. Der Klerus entwarf mit der Zeit ein immer schärferes Bild von der heilkundigen Frau als Verführerin oder Gespielin des Teufels. Hexen flüsterten bei der Behandlung von Kranken obskure Formeln, bedienten sich geheimnisvoller Riten oder zeichneten mysteriöse Runen auf die Körper der Kranken, um die heilende Wirkung ihrer magischen Mittel zu verstärken.



Die Kirche und ihre Hexenankläger fanden viele Gründe zur Verfolgung der heilkundigen Frauen. Der Glaube an den Luftschlag der Hexen, ihrer Verwandlung in Tiere oder der Schadenzauber wurde den weisen Frauen vorgeworfen. Da das Volk ohnehin der Meinung war, im Hexenkessel gehe es nicht mit rechten Dingen zu, war es ein leichtes, das Volk gegen die kräuterkundigen Frauen aufzubringen. Ein jeder hatte Angst vor Krankheiten oder Seuchen, durch Hagelschlag oder Dürre beschädigte Ernten. Die Theorie mit dem Dämonenpakt und der Teufelsbuhlschaft der Hexen wirkte glaubhaft, und die Ketzergerichte unterstützten den Glauben an die Realität der Dämonenwelt. So wurden schließlich Zauberei und Aberglaube mit dem Dämonenkult vermengt und zum ketzerischen Straftatbestand erklärt, die Hexerei wurde zum maleficum.
Dabei warf man den Hexen die unterschiedlichsten Taten vor, vom Wettermachen, dem Verhexen von Butter und Milch, dem Anfertigen und Anwenden der Hexensalbe über den Hexenritt, dem Herbeizaubern von Unwettern, Dürreperioden und Epidemien, der Tierverwandlung bis hin zum Bösen Blick, mit dem die Hexen vor allem Tieren und kleinen Kindern schaden konnten, indem sie ihnen den Tod oder eine unheilbare, schwere Krankheit anhexten. Auch der Hexenschuß verdankt seinem Namen dem Glauben, der Rückenschmerz entstamme der Verhexung durch eine böse Frau. Aber auch Männer mussten vor dem bösen Blick auf der Hut sein, da er ihnen angeblich die Manneskraft rauben konnte.



‚“Herr Abt, Herr Abt!“ fuhr Bernhard Gui in gestrengem Ton fort. „Euer Hochwürden weiß vielleicht nicht, was die Sünder mit diesen widerwärtigen Dingen zu tun pflegen. Ich aber weiß es sehr wohl, das walte Gott! Ich habe gesehen, wie ruchlose Weiber zusammen mit anderen ihrer Zunft in den dunkelsten Stunden der Nacht schwarze Katzen benutzen, um Hexenwerk zu verrichten, das sie nimmermehr abstreiten konnten: zum Beispiel rittlings auf dem Rücken gewisser Tiere im Schutze der Nacht gewaltige Strecken zurückzulegen, gefolgt von der Schar ihrer Sklaven, die sie in lüsterne Trolle verwandelt hatten … Und der Teufel persönlich zeigte sich ihnen – oder jedenfalls glaubten sie fest daran – in Gestalt eines schwarzen Hahns, und sie trieben’s mit ihm, fragt mich nicht, wie! Und ich weiß absolut sicher, dass mit Schwarzer Magie dieser Art erst vor kurzem in Avignon Zaubersäfte gebraut wurden, um sie unserem Herrn Papst ins Essen zu tun und ihn so zu vergiften.’

Aus: Umberto Eco, Der Name der Rose




Derart schlimme Taten konnten eigentlich nur von furchteinflößenden Kreaturen ausgehen, und so etablierte sich schon bald das Bild von der hässlichen alten Frau mit Hakennase, einem Buckel und gichtigen Fingern. Sie wohnten meist allein etwas abseits von der Dorfgemeinschaft in windschiefen Häusern mit Kräutergarten und waren den meisten Einwohnern suspekt.




‚Ein langes hagres, in schwarze Lumpen gehülltes Weib! – indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn, verzog sich das zahnlose Maul, von der knöchernden Habichtsnase beschattet, zum grinsenden Lächeln, und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken werfend durch die große Brille. Aus dem bunten, um den Kopf gewickelten Tuche starrten schwarze, borstige Haare hervor, aber zum Grässlichen erhoben sich das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über die Nase wegzogen.’

Aus: E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf




Die Vorstellung, dass der Teufel höchstpersönlich durch die Hexe wirke, war damals weit verbreitet und schürte die Angst vor den mysteriösen weisen Frauen. Man unterstellte den Hexen zwar, dass sie fliegen und zaubern konnten, doch wurden diese Fähigkeiten nicht als ihre eigenen angesehen; der Pakt mit dem Teufel war stets die notwendige Voraussetzung für ihr Handeln. Bei vielen herrschte die Meinung, Hexen bildeten sich nur ein, überirdische Mächte und Kräfte in Bewegung zu setzen, und seien eigentlich ganz machtlos; doch auch diese Ansicht konnte unzählige Frauen im Mittelalter nicht vor ihrem tragischen Schicksal auf dem Scheiterhaufen bewahren.
Zunächst traf es meist arme und wehrlose alte Frauen, die am Rande der Gesellschaft lebten und ohne richtige Entlohnung für die Armen und Bauern tätig waren. Ihnen fehlte jegliche soziale Bindung, so waren sie in der Regel leichte Opfer für die Inquisitoren.




‚Dem Hause des Herrn Pineiß gegenüber war ein anderes Haus, dessen vordere Seite auf das sauberste geweißt war und dessen Fenster immer frisch gewaschen glänzten. […] Und ebenso weiß war der Habit und das Kopf- und Halstuch einer alten Beghine, welche in dem Hause wohnte. […] So scharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Kleidung, so scharf war auch die lange Nase und das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der böse Blick ihrer Augen. […]
Alle Tage ging sie dreimal in die Kirche, und wenn sie in ihrem frischen, weißen und knitternden Zeuge und mit ihrer weißen spitzigen Nase über die Straße ging, liefen die Kinder furchtsam davon, und selbst erwachsene Leute traten gern hinter die Haustüre, wenn es noch Zeit war. Sie stand aber wegen ihre strengen Frömmigkeit und Eingezogenheit in großem Rufe und besonders bei der Geistlichkeit in hohem Ansehen. […]
So weiß und hell aber das Haus der Beghine nach der Straße hin aussah, so schwarz und räucherig, unheimlich und seltsam sah es von hinten aus […] Unter dem Dache dort hingen alte zerrissene Unterröcke, Körbe und Kräutersäcke, auf dem Dache wuchsen ordentliche Eibenbäume und Dornsträucher, und ein großer rußiger Schornstein ragte unheimlich in die Luft. Aus diesem Schornstein aber fuhr in der dunklen Nacht nicht selten eine Hexe auf ihrem Besen in die Höhe, jung und schön und splitternackt, wie Gott die Weiber geschaffen und der Teufel sie gerne sieht.’

Aus: Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla





Durch den Verdacht, die Frauen stünden mit bösen Mächten in Verbindung, und die damit einhergehende angebliche Verschwörung gegen die Kirche und deren Moral gab es einen Grund, die Hexen systematisch zu verfolgen. Die Kirche spielte sich als Retterin des Volkes auf und schritt unter Vorspiegelung moralischer Motive zur grausamen Tat. Der Wirkungskreis der Hexen, die ursprünglich weise Frauen und Hebammen waren, wurden von den Regierenden immer stärker beschnitten. Im 15. Jahrhundert gab es einen Gesetzeserlaß für den Heilbereich, der die Hebammenordnung einführte, die Hebammen unter die Aufsicht eines männlichen Arztes stellte und ein Heilverbot für Frauen enthielt. Dieser Erlaß ging einher mit dem Beginn der großangelegten Hexenverfolgung und damit dem unmenschlichen und grausamen Vorgehen gegen der Hexerei bezichtigte Frauen. Die systematische Ausrottung der Hexen und die Dämonisierung der Frau als unkontrollierbare Übeltäterin wurde im Jahre 1484 durch die päpstliche Bulle von Innozenz VIII. eingeleitet. In Deutschland schloß sich daran der Hexenhammer, auch maleficus maleficarum genannt, der von Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, den beiden Chefinquisitoren des Mittelalters, verfasst wurde. In dieser Schrift waren die mittlerweile verbotenen und strafbaren einzelnen Formen der Hexerei, des Hexenglaubens und die Zauberdelikte ebenso definiert wie die Verfahrensführung im Anklagefall oder die anzuwendenden Foltermethoden und Strafen. Zu den Hauptanklagepunkten zählten der Kontakt mit dem Teufel, der Hexenritt sowie die Begehung des Hexensabbats. Nun waren Mord, Giftmischerei, Verschwörung und sexuelle Freizügigkeit als klar festgelegte Delikte der Hexerei amtlich dokumentiert und als moralische und religiöse Vergehen verdammt. Das Volk wurde zur Denunziation aufgerufen; unbegründete Verleumdungen und Verdächtigungen von missgünstigen Nachbarn reichten aus, um Frauen auf die Folterbank zu zwingen.




Nun aber hat es bald ein laut Gerücht im Dorf gegeben […); man wisse nun, die Hexe von Schwabstedte sei es gewesen, die auf ihrem Roß allsonntags in das Dorf gekommen; ja deren etliche hatten sichere Kunde, dass sie, unter Vorspiegelung trügerischer Heilkunst, dem armen Herrn Josias das Leben abgewonnen habe.’

Aus: Theodor Storm, Renate





Doch nicht nur persönliches Elend und Neid schürten die wohl organisierte und von der Kirche verfolgte Verfolgung, schließlich wurde die Denunziation von verdächtigen Frauen für so manchen zum einträglichen Geschäft. In einigen Gegenden wurde ein hohes Kopfgeld als Belohnung gezahlt. Die Wahnideen der Verfolger wurden jedoch lediglich durch Vermutungen, Behauptungen und pseudowissenschaftliche Beweisführung untermauert., welche keineswegs logischen Argumenten folgte. Die Hexerei galt ähnlich wie Hochverrat als Majestätsverbrechen, was bei den Prozessen eine Abweichung von den üblichen Untersuchungsverfahren möglich machte. Statt dessen wurden eigens für die Hexen neue Möglichkeiten der Wahrheitsfindung wie zum Beispiel die Hexenproben eingerichtet. Dabei wurden die Frauen entweder beim Hexenbad, auch Wasserprobe genannt, auf ihre Unschuld geprüft. Sie wurden an Händen und Füßen gefesselt ins Wasser geworfen; gingen sie unter und ertranken, galten sie als unschuldig; blieben sie jedoch an der Wasseroberfläche, waren sie als Hexen entlarvt und wurden anschließend verbrannt. Oder sie wurden auf einer sogenannten Hexenwaage gegen Biblen aufgewogen; ihre Unschuld galt als bewiesen, wenn sie schwerer waren als die heiligen Bücher. Später begnügte man sich einfach damit, ihr besonders niedriges Gewicht festzustellen. Hinter diesen Methode steckte einerseits der abergläubische Gedanke, dass die Hexe ihre Seele an den Teufel verhökert habe und somit leichter als gewöhnliche Menschen sei, andererseits versuchte man sich den Hexenflug damit zu erklären: wer so leicht sei, dass er auf einem Besen durch die Lüfte reiten kann, bringt kein normales Gewicht auf die Waage. Den Angeklagten blieb überhaupt keine Möglichkeit, ihre Unschuld unter Beweis zu stellen. Legten sie ein Geständnis ab und gaben die Namen von vermeintlichen Komplizinnen preis, hatten sie ihr eigenes Todesurteil gesprochen. Waren sie jedoch nicht geständig und ertrugen die Qualen stumm, galt dies nur als ein weiterer Beweis für ihren Pakt mit dem Teufel, mit dessen Hilfe sie schmerzunempfindlich wurden.
Unerbittlich verfolgte die Kirche die Heilerinnen und ruhte nicht eher, bis unzählige Frauen ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen mussten. Die genauen Zahlen der Opfer sind bis heute umstritten, die verschiedenen Quellen sprechen von 100.000 bis zu Millionen von Toten.



Die Hexenverbrennungen zogen in mehreren unterschiedlich starken Wellen über Europa hinweg und fanden ihren Höhepunkt Mitte des 16. Jahrhunderts, als Hungersnöte und Pestepidemien das Leid der Menschen ins Unerträgliche steigerten und in erster Linie die Hexen als Sündenböcke für all die Katastrophen herhalten mussten. Eines der berühmtesten Opfer der Inquisition während der Hochphase der Hexenverfolgungen im 15. Jahrhundert ist Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, die wie viele andere auf dem Scheiterhaufen den Tod fand. Sie glaubte sich durch Stimmen zum Kampf gegen die Engländer berufen. Angeblich hielt sie sich für eine Abgesandte Gottes, weswegen sie als Ketzerin und Zauberin bezichtigt und angeklagt wurde. Sie verteidigte sich mit großem Mut und Eifer, unterzeichnete dann aber eine Abschwörungsformel, um dem Feuertod zu entgehen. Als sie dennoch zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, widerrief sie ihren Schwur und wurde 1431 verbrannt. Einige Jahrhunderte nach ihrem Tod wurde die französische Nationalheldin übrigens erst selig- und dann heiliggesprochen.
Obwohl es schon immer vereinzelte Gegner der Hexenprozesse gab, die sich mutig der Obrigkeit widersetzten und die Willkür der Anklagen oder erzwungenen Geständnisse anprangerten, dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis der systematischen Jagd auf die weisen Frauen ein Ende bereitet werden konnte. Die letzten Hexenprozesse fanden in Deutschland zu Lebzeiten Schillers, Goethes, Lessings und Kants statt. Im Jahr 1775 wurde in Deutschland mit Anna Schwägelin, der Tochter eines Tagelöhners, die sich angeblich abfällig über die Mutter Gottes geäußert hatte, die letzte Hexe hingerichtet. Zwar wurden auch in der Zeit danach weiterhin Hexenprozesse geführt, doch endeten sie für die Angeklagten nicht mehr auf dem Scheiterhaufen.




Aus:
Angela Troni (Hrsg.), Feuer sprühe – Kessel glühe. Ein Hexenkochbuch, Rütten & Loening, Berlin 2002

Bestellt bei:
Lustwandel
Die Buchhandlung für erotische Literatur & Kunst in Berlin




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