17
Aug
2006

Sufismus und Djihad

Unter Sufismus wird im weitesten Sinne die islamische Mystik verstanden, die viele derselben Strömungen kennt, welche sich ebenfalls in den mystischen Strömungen der anderen Religionen wiederfinden. Dazu zählen die Überwindung der individuellen Eigenschaften, das Absterben des Egos, die Auflösung des Selbst in das göttliche Prinzip (Allah), asketische Übungen, Initiationen, aber auch die Rückkehr aus der unio mystico in die Realität. Trotz ihrer mystischen Orientierung betonen alle Sufis, sich strikt an die Lehren des Korans zu halten. Dennoch geraten sie zuweilen mit dem Mainstream-Islam in Konflikt. Sie sind gewöhnlich in Orden organisiert. Im Westen herrscht die weitverbreitete Meinung, der Sufismus (Sufiyya) stehe als eine undogmatische, pazifistische, nach 'innen' gerichtete islamische Religionsströmung einem militanten, ultra-orthodoxen, nach 'außen' gerichteten Islam unversöhnlich gegenüber. Sufiyya und Djihad seien nicht miteinander kompatibel. Diese unterstellte Unvereinbarkeit ist jedoch historisch falsch und trifft auch nicht auf die Gegenwart zu. Neben einem weltentrückten, unpolitischen Sufismus gab und gibt es immer einen politisch-orientierten Djihad-Sufismus.





Die Aufteilung zwischen friedfertigen Sufis und militanten Islamisten ist aber nicht nur ein Produkt des Westens, sondern sie hat ihre geschichtliche Ursache darin, dass eine ganze Anzahl von islamischen Gelehrten, wie zum Beispiel Ibn Taymiyyah, bestimmte (!) Sufi-Orden wegen ihres Quietismus aund ihres Desinteresses an den sozialen und politischen Verhältnissen angegriffen haben. Doch wurden sie attackiert, weil sie bewußt eine Isolation von der Umma (islamischen Gemeinschaft) wählten und nicht deswegen, weil sie sich durch sakrale Praktiken mystisch mit Allah vereinigten. "Einige Leute kritisieren die Sufiyya und den Tsawwuff (die Vereinigung mit Allah), und sie sagen, dabei handele es sich um Erneuerungen außerhalb der Sunna (der orthodoxen Lehre), aber die Wahrheit ist, dass sie (die Sufis) im Dienste Allahs kämpfen, wie andere Anhänger Allahs ebenfalls im Dienste Allahs kämpfen" - schreibt Ibn Taymiyyah. Er selber war ein Sufi des Qadiri-Ordens und gleichzeitig einer der kompromisslosesten Befürworter des Djihad. Tayymiyyah konnte beides ohne jegliche theologische oder ethische Bedenken miteinander kombinieren.





Vielfach sind es die Sufi-Orden, die heute in Inner-Asien, in Indien und in Pakistan die Djihadis zum Heiligen Krieg anfeuern bzw. spirituell darauf vorbereiten. Insbesondere hat die politisch-mystische Ideologie des Naqshbandi- und des Qadiri-Ordens großen Einfluß auf die militanten islamistischen Bewegungen in Afghanistan, Tschetschenien und bei den südlichen Turkstämmen gewonnen. In einem Interview antwortete der ehemalige tschetschenische Präsident Aslan Maschadow auf die Frage, weshalb seine Landsleute so viel militärische Widerstandskraft zeigten, dass sie dies den spirituellen Übungen der Sufis verdanken würden:
"Der Islam kam zu uns nach Tschetschenien, Dagistan, Russland, Tataristan, Kasachstan und Usbekistan durch die Sufis. (...) Wir sind Qadiris und Naqshbandis in Tschetschenien." Überhaupt waren fast alle bedeutenden Führer des tschetschenischen Separatismus im 19. Jahrhundert Sufi-Scheichs, die sehr wohl wussten wie sie mit der Waffe in der Hand umgehen mussten. Naqshbandi-Brüder agitierten ebenfalls in Bosnien und im Kosovo während des jüngsten Balkankrieges. Auch die in Indien ansässigen Deobandis, die bei der Herausbildung der Taliban eine wichtige Rolle gespielt haben, praktizieren spirituelle Übungen, die aus dem Sufismus stammen.



...



Es gibt sicher Sufi-Anhänger, die sich entschieden gegen die Anwendung von Gewalt aussprechen, aber wenn sich die Sufi-Praktiken mit dem Heiligen Krieg verbinden, dann potenzieren sie den Djihad und steigern seine blutige Sakralität. Gerade diese gefährliche Mischung von Ekstase-Technik, Mystik, Gewalt und Politik ist auch, wie wir noch an mehreren Beispielen zeigen werden, hinter den vielen 'Märtyrer-Operationen' des religiösen Terrorismus wirkkräftig.





Aus:
Victor und Victoria Trimondi, Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse. Wilhelm Fink Verlag München 2006, S. 331 ff (Alle Fußnoten dort)



Keywords:
Allah, Deobandi, Djihad, Islam, Islamismus, Islamische Mystik, Mystik, Naqshbandi, Quadiri, Sufi, Sufismus, Sufiyya, Sunna, Tsawwuff, Umma
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