Keywords:
Timothy Leary, Robert Anton Wilson, John Lilly, Gehirnwäsche, Bewusstsein, Bewusstseinskontrolle, Nervensystem, Gehirnprogrammierung, Sinne
Co-Autor: Robert Anton Wilson
Dezember 1975
Bundesgefängnis San Diego
Der Kampf um Patty Hearsts Bewusstsein ist symptomatisch für die weltweite Schlacht um Bewusstseinskontrolle.
„Mom, Dad – ich bin o.k. Ich habe ein paar Kratzer und so, aber sie haben sie saubergemacht, und es wird schon wieder … Ich habe gehört, dass Mom sich ziemlich aufgeregt hat und dass alle nach Hause gekommen sind, und ich hoffe, das hier wird euch beruhigen … Ich will hier raus, aber das geht nur, wenn wir alles so machen, wie sie es wollen … Ich will raus hier und euch alle wieder sehen und wieder mit Steve zusammensein.“
12. Februar 1974. Die Sprecherin ist Patty Hearst. Obwohl sie schon seit acht Tagen von den Guerillas der Symbionese Liberation Army festgehalten wird, klingt sie relativ normal, und das Tonband beruhigt ihre Eltern ein wenig.
Neunundvierzig Tage später veröffentlicht die S.L.A. ein zweites Band, und plötzlich sieht alles ganz anders aus. Das ist eine neue Stimme, die einer Fremden namens Tania, und ihre Worte klingen ziemlich feindselig:
„Ich bin mir darüber klar, dass deine und Moms Interessen nicht die des Volkes sind. Du, ein unverbesserlicher Lügner, wirst natürlich behaupten, dass du nicht weißt, wovon ich rede, aber das musst du erst mal beweisen. Sag den armen und unterdrückten Menschen dieser Nation, was der Staat mit ihnen vorhat. Erzähl den Schwarzen und Armen, dass man sie bis zum letzten Mann, Frau und Kind umbringen wird.“
Bei diesem Band liegt das berühmte Photo, auf dem Tania mit einer MP in der Hand, vor der siebenköpfigen Kobra der Symbionesen steht.
Randolph Hearst, Vater des Jahres und Topmanager einer riesigen Propagandamaschine und diverser Massenmedien, die während der letzten hundert Jahre dazu beigetragen haben, Millionen von Menschen zu domestizieren, tritt vor die TV-Kameras und sagt wenig überzeugend:
„Mit uns war sie zwanzig Jahre zusammen, mit ihnen nur sechzig Tage. Ich glaube nicht, dass sie ihre Philosophie so schnell und auf Dauer verändern wird.“
Zwei Wochen später wird Tania photografiert, als sie mit ihren neuen Kameraden eine Bank ausraubt. Auf dem dritten Band klingt sie noch entschlossener, nennt ihre Eltern, die sie hatten wiedersehen wollen, „Schweine“ und ihren Freund Steve Weed, zu dem sie hatte zurückkehren wollen, einen „Clown“ und ein „sexistisches Schwein“.
Tania überlebte und änderte ihre Meinung wieder, aber offensichtlich würde es nie wieder die Patty Hearst von damals sein.
…
Gehirnwäsche ist wie Malaria eine Krankheit des Ausgesetztseins. Die meisten Menschen, die malariaverseuchter Umgebung ausgesetzt werden, erkranken auch daran. Genauso werden die meisten Menschen Opfer einer Gehirnwäsche, wenn man sie einer entsprechenden Institution ausliefert.
Das Konzept einer „Wäsche“ ist natürlich unwissenschaftlich und primitiv. Das Gehirn ist kein schmutziges Hemd, sondern ein bio-elektrischer Computer – ein lebendes Netzwerk mit über hundertzehn Millionen Nervenzellen, die zu 10
2,783,000 Zwischenverbindungen fähig sind, eine Zahl, die grösser ist, als die Summe aller Atome im Universum. In diesem eleganten Mikro-Computer laufen in jeder Minute mehr als hundert Millionen Prozesse ab.
Das Gehirn und das Nervensystem sind – wie auch der menschliche Körper – vom genetischen Code entworfen und programmiert worden. Das menschliche Wesen ist wie alle anderen Lebensformen auch hauptsächlich ein „gigantischer Roboter, der von der DNS geschaffen wurde, um noch mehr DNS zu produzieren“, wie der Nobelpreisträger und Genetiker Hermann J. Muller bemerkte.
Wir alle sind neurogenetische Roboter. Und für christliche Theologen oder sentimentale Humanisten mag diese Erkenntnis vielleicht unangenehm sein, aber es gibt keine Flucht aus diesem Zustand, es sei denn, wir akzeptieren ihn als Tatsache. Nur dann können wir lernen, die Kontrolle über unsere Nervensysteme zu übernehmen und unsere individuellen Realitäten zu reprogrammieren.
Ein grundlegendes Beispiel für Gehirnprogrammierung, das uns hilft, Rusty, Squeaky, Patty und uns selbst zu verstehen, ist ein Giraffenbaby, dessen Mutter von Jägern erschossen wurde. Das Giraffenbaby wurde in Übereinstimmung mit seinem genetischen Programm vom ersten grossen sich bewegenden Objekt, das es sah, konditioniert: in diesem Fall vom Jeep des Jägers. Es lief dem teilnahmslosen Vehikel hinterher, versuchte mit ihm zu sprechen, an ihm zu saugen und schliesslich, sich mit ihm zu paaren. Die Überlebensinstinkte der kleinen Giraffe waren auf diesen Jeep fixiert.
Auch das menschliche Wesen fixiert sein neurales Equipment auf externe Objekte und kann durch sie konditioniert werden. Beim Menschen untergliedern sich diese Prägungen in vier Phasen:
1. Der Bio-Überlebens-Schaltkreis des Säuglings, der sich mit Sicherheit/Gefahr-Signalen im Hier und Jetzt befasst.
2. Der Schaltkreis des Kleinkindes (Krabbler), oder Ego, beschäftigt sich mit Bewegung und Gefühlen.
3. Der verbal-symbolische Schaltkreis des Erwachsenen, oder Mind, der sich mit Sprache und Wissen beschäftigt.
4. Der sozio-sexuelle Schaltkreis des Erwachsenen, oder Persönlichkeit, befasst sich mit domestiziertem Verhalten.
Diese vier Schaltkreise oder Gehirne werden in einem relativ einfachen mechanischen Prozess (Gehirnwäsche) nacheinander ausgebleicht und neu geprägt. Dieser Prozess ist einfach, weil die ursprüngliche Prägung dieser Schaltkreise auch relativ einfach war.
Der erste Schaltkreis oder das Bio-Überlebensgehirn wird bei der Geburt aktiviert. Seine Funktion besteht darin, Nahrung, Luft, Wärme und Bequemlichkeit zu suchen und alles, was giftig, rauh oder gefährlich ist, zu meiden. Der Bio-Überlebens-Schaltkreis des tierischen Nervensystems ist von der DNS darauf programmiert, eine schützende und sichere Zone in der Nähe eines mütterlichen Organismus zu suchen. Wenn keine Mutter vorhanden ist, wird der nächstliegende Ersatz in der Umgebung benutzt.
Die neugeborene Giraffe war auf einen vierrädrigen Jeep fixiert. In einer ethologischen Studie von Konrad Lorenz begnügte sich ein Gänschen mit einem weißen Ping-Pong-Ball, als es nirgendwo den runden, weissen Körper einer Gans fand, von dem es seine Prägung hätte erhalten können.
Während des gesamten menschlichen Lebens hören alle anderen geistigen Aktivitäten auf, sobald der Bio-Überlebens-Schaltkreis Gefahr signalisiert. Das ist bei der Gehirnprogrammierung von zentraler Bedeutung: Um eine neue Prägung zu schaffen, muss man das Objekt zunächst auf einen kindlichen Bewusstseinszustand, d.h. Schaltkreis-Verletzlichkeit, reduzieren.
Der erste Schritt bei diesem Prozess ist die Isolation des Opfers. Ein kleiner, dunkler Raum ist ideal, da die sozialen, emotionalen und geistigen Techniken, die vorher das Überleben sicherten, hier nicht mehr funktionieren. Je länger eine Person in solch einem Zustand isoliert wird, um so empfänglicher wird sie oder er für neue Prägungen. Wie Dr. John C. Lilly gezeigt hat, reichen ein paar Minuten totaler Isolation, um Angstgefühle auszulösen. Schon nach wenigen Stunden fangen Halluzinationen an, und das Opfer ist für neue, schützende und mütterliche Prägungen empfänglich.
Es ist kein Paradox, dass derjenige, der dem unwilligen Opfer die Gehirnwäsche aufzwingt, zur Prägung werden kann. Das Opfer wird von uralten Instinkten – biochemischen Programmen – gezwungen, eine Prägung zu suchen und sie mit jedem externen Objekt zu verdrahten, der dem mütterlichen Archetypus am nächsten kommt. Für einen menschlichen Gefangenen ist jedes zweibeinige Wesen, das ihm Nahrung bringt, gut genug.
Der zweite Schaltkreis, das emotionale Gehirn oder Ego, wird aktiviert, wenn das Kind anfängt, mit Muskelkraft zu krabbeln, zu laufen, die Schwerkraft zu beherrschen, physische Hindernisse zu überwinden und andere politisch zu manipulieren. Die Muskeln, die diese Funktionen ausführen werden, erhalten sehr schnell Prägungen, die zu lebenslangen Reflexen werden. Je nachdem, wie seine Umgebung ausfällt, schafft diese Prägung entweder ein starkes, dominantes oder schwaches, ängstliches Ego.
Der Status im Rudel oder im Stamm entsteht auf der Basis eines bewussten Impulssystems, in dem diese Muskelreflexe von entscheidender Bedeutung sind. Alle emotionalen Spiele oder Tricks, die in den populären Handbüchern von Dr. Eric Berne und anderen praktizierenden Analytikern aufgeführt werden, sind Prägungen des zweiten Schaltkreises und gehören zur Standardpolitik der Säugetiere.
Um bei einem Erwachsenen die Empfänglichkeit für Neuprägungen des zweiten Schaltkreises zu ermöglichen, muss man ihn dazu bringen, sich wie ein ungeschicktes Kleinkind zu fühlen. Der neurologische Monitor des Opfers muß deutlich auswerfen: „Ich bin dreissig Zentimeter groß, dumm, unfähig, eingeschüchtert und habe unrecht. Sie sind einsachtzig groß, allwissend, intelligent, mächtig und sie haben Recht.“
Hilflosigkeit lässt sich durch terroristische Taktiken zur Panik steigern. In Costa Gavras’ Film ‚The Confession’ holen die kommunistischen Gehirnwäscher das Opfer aus seiner Zelle, legen ihm eine Schlinge um den Hals und führen ihn an einen Ort, der so aussieht, als ob er dort gehängt werden soll. Manche afrikanischen Stämme nehmen die Initiations-Kandidaten und graben sie stundenlang lebendig ein.
Die größte Empfänglichkeit für Neuprägungen besteht dann, wenn das Opfer glaubt „Ich habe keine andere Wahl; sie können mit mir machen, was sie wollen.“
Der dritte Schaltkreis, oder Mind, wird aktiviert, wenn das Kind anfängt, Geräte zu benutzen und Fragen zu stellen. Er ist in den neun Kehlkopfmuskeln, die beim Sprechen benutzt werden und in einer neuralen Feedbackschleife zwischen der rechten Hand und der linken Grosshirnrinde lokalisiert, die gebraucht wird, um Objekte der Umgebung zu untersuchen, zu klassifizieren und umzuprogrammieren. Der gesamte Komplex von Forschung, Kunst und Wissen basiert auf dieser Grundlage.
Der schnellste Weg, um den dritten Schaltkreis neu zu prägen, ist, das Opfer von denjenigen zu trennen, die seine Sprache, Symbolik, und Ideologien teilen, indem man das Opfer in eine Situation bringt, wo seine normalen sprachlichen und körperlichen Fähigkeiten nicht funktionieren, und wo es neue Signale und Fähigkeiten lernen muss, um zu überleben. Es ist zum Beispiel eine bekannte Tatsache, dass man eine Fremdsprache am besten lernt, wenn man mit Leuten zusammen lebt, die nur diese Sprache sprechen: Man verbinde die Überlebensbedürfnisse des ersten Schaltkreises (Nahrung, Schutz) und die Statusbedürfnisse des zweiten Schaltkreises (Sicherheit, Anerkennung) mit der Notwendigkeit des dritten Schaltkreises, eine neue Sprache zu beherrschen.
Andererseits war der sprichwörtliche Engländer, der sich in seiner einsamen Tropenhütte jeden Abend zum Essen umzog, kein Dummkopf. Er baute ein englisches Luftschloss um sich herum, indem er ständig eine englische Realität bestätigte, um zu vermeiden, von der Realität der Eingeborenen überwältigt zu werden. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass man zum Kommunist wird, wenn man mit Kommunisten lebt, oder zum Verurteilten, wenn man mit Verurteilten lebt. Tatsächlich erfordert es feinfühliges, neurologisches Vorgehen, unter diesen Umständen sein Selbst zu bewahren.
Der vierte Schaltkreis, oder Persönlichkeit, wird im jugendlichen Alter aktiviert und geprägt, und zwar wenn das DNS-Signal den sexuellen Mechanismus auslöst. Der Teenager wird zum verlegenen Besitzer eines neuen Körpers und eines neuen neuralen Schaltkreises, der an Orgasmusfähigkeit und Verbindung von Sperma und Eizelle gebunden ist. Wie jeder andere Säuger, so taumelt auch der pubertierende Mensch in einem Zustand der Paarungsgier herum und jede Nervenzelle geifert nach dem begehrten Sexobjekt. Seine Prägungsempfänglichkeit ist jetzt am grössten, und die ersten sexuellen Abläufe, die das jugendliche Nervensystem antörnen, bleiben lebenslänglich unverändert bestehen und kennzeichnen für immer die sexuelle Realität des Individuums. Deswegen sollten wir über die zahlreichen Fetische, die man sich in dieser Phase aneignen kann, nicht überrascht sein. Tatsächlich können wir anhand des Umstandes, von welchen Fetischen ein Mensch immer wieder angetörnt wird, exakt feststellen, in welchem Zeitabschnitt er geprägt wurde: Schwarze Strapse, Schnaps, Cool-Jazz und Bürstenhaarschnitt kennzeichnen eine ganz bestimmte Prägungsgeneration, genau wie Schlafsäcke, Mick Jagger, Gras und enge Jeans eine andere.
Wenn Sinatra in Las Vegas singt, ignorieren die alten Fans seine Falten und das Doppelkinn, und ihre Nervenzellen überschlagen sich vor lauter Entzücken. Die jüngere Generation reagiert amüsiert und gelangweilt: „Was hat denn dieser alte Glatzkopf mit Sex zu tun?“ Keine Gruppe wird die Fetische einer anderen sexuellen Prägungsgruppe verstehen.
Es ist für den Gehirnwäscher wichtig zu erkennen, dass sexuelles Verhalten massgeblich von sozial-domestizierten Moralvorstellungen beeinflusst wird. Der Stamm belegt den Austausch von Sperma und Eizelle immer mit heftigen Drohungen und gewaltsamen Verboten – das geht so weit, dass viele Menschen nicht wissen, dass das Wort Moral sich auf irgend etwas anderes als auf sexuelle Tabus bezieht.
Überall und in jeder Gesellschaft wird das sexuelle Gehirn erbarmungslos domestiziert und zur Stammesproduktivität gezwungen. Gesellschaftlich gebilligte Orgasmen tendieren zu monogamer Fortpflanzung; lustorientierte Orgasmen werden missbilligt und die Ausführenden oft verfolgt.
Wenn der sexuelle Schaltkreis neu geprägt wird, lösen sich die häuslichen Bindungen, spaltet sich die domestizierte Persönlichkeit und ermöglicht das Entstehen neuer Bindungen an eine andere Subkultur und deren ketzerisches sexuelles Wertsystem. Eine derartige Neuprägung des erotischen Gehirns kann eine äusserst wirkungsvolle Technik der Gehirnwäsche sein, allerdings nur als Zusatz zum eigentlichen Ausbleiben des ersten und zweiten Schaltkreises, Sicherheit und Ego-Status. Hätte beispielsweise Cinque De Freeze Patty Hearst in der ersten Nacht ihrer Entführung vergewaltigt, hätte sie wahrscheinlich ziemlich sauer reagiert. Wenn das Opfer jedoch erst mal Biosicherheit, physische Unterstützung und Klärung der Gefühlsrealität erhalten hat, kann sexuelle Verführung ein neues erotisches Feld prägen.
Um die eigene Realitätsblase aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, sich der Zustimmung des Stammes zu versichern. Grösstenteils ist die menschliche Kommunikation auf peinliche Art primitiv und besteht aus endlosen Variationen von „Ich bin noch hier. Bist du noch da?“ (Bienenstock-Solidarität) und „Eigentlich hat sich nichts geändert“ (das übliche Bienenstock-Business). Isolation ist der erste Schritt der Gehirnwäsche, entfernt diese schützende Blase. Wenn das Opfer kein Feedback mehr bekommt – „Wir sind noch da; alles beim alten“ – verblassen die Prägungen allmählich. Wie Dr. Lilly erläutert, sind Forscher und schiffbrüchige Matrosen, die längere Isolation überlebt haben, nach ihrer Rettung extrem schüchtern. Sie haben – manchmal wochenlang – buchstäblich Angst vor menschlicher Konversation, weil sie wissen, dass das, was sie sagen, für einen normalen, domestizierten Erwachsenen verrückt klingen könnte. Ihre Prägungen sind verblasst, und sie befinden sich in der unkonditionierten, freischwebenden Welt der Yogis oder der Mystiker. Es wird mindestens ein paar Tage in Anspruch nehmen, ihre soziale Welt neu zu prägen.
Ähnliche Prägungs-Empfänglichkeit und Rückkehr ins Säuglingsalter kommen bei vielen Fällen von längerem Krankenhausaufenthalt vor, eine rätselhafte Tatsache, die von vielen Medizinern gar nicht erkannt wird. Einige Patienten werden durch Gehirnwäsche buchstäblich so weit gebracht, ihr Leben lang als Invalide herumzulaufen – ein klassischer Fall von Hilflosigkeit des zweiten Schaltkreises. Und dann beschuldigt das Personal sie auch noch, Simulanten zu sein, womit die Schuld der inkompetenten Mediziner einfach auf das hilflose Opfer abgewälzt wird.
Das Nervensystem hat die Funktion, aus unendlich vielen Möglichkeiten die biochemischen Prägungen auszusondern, welche die Taktiken und Strategien des Überlebens an einem Ort und den Status in einem Stamm sichern, zu bündeln und zu wählen. Der Säugling ist genetisch darauf vorbereitet, jede Sprache zu lernen, jede Aufgabe zu meistern und jede sexuelle Rolle zu übernehmen, innerhalb kürzester Zeit wird er jedoch unnachgiebig darauf gedrillt, die begrenzten Angebote seiner sozialen und kulturellen Umgebung anzuerkennen, zu befolgen und nachzuahmen.
Bei diesem Prozess zahlt jeder einzelne von uns einen hohen Preis. Überleben und Status heisst, die unendlichen Möglichkeiten des unkonditionierten Bewusstseins verfallen zu lassen. Die domestizierte Persönlichkeit der sozialen Realität ist nur ein belangloser Bruchteil des natürlichen Erlebnis- und Intelligenzpotentials eines menschlichen Hundertzehn-Milliarden-Zellen-Biocomputers. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes unserer Sinne beraubt und leben nur wenig bewusster als jedes beliebige Herdentier.
Folglich ist auch die Arbeit des Gehirnwäschers leicht, sie besteht lediglich darin, einen Satz von Roboter-Schaltkreisen gegen einen anderen auszutauschen. Sobald das Opfer Bio-Sicherheit und Ego-Unterstützung bekommt, genau wie ein Säugling von seinen Eltern, sind die Nervenzellen empfänglich für jede beliebige Ideologie des dritten Schaltkreises.
Da wir alle von unseren eigenen sozialen Realitäten geprägt sind, fällt es im allgemeinen gar nicht auf, dass jedes menschliche Realitätsmodell – egal wie exzentrisch und paranoid es sein mag – im Grunde genauso sinnvoll ist wie jedes andere. Aus den gleichen Gründen wie es Vegetarier, Nudisten, Kommunisten oder Schlangenanbeter gibt, gibt es Katholiken, Republikaner, Liberale oder Nazis.
Aus:
Timothy Leary, Neuropolitik. Die Soziobiologie der menschlichen Metamorphose, Sphinx Verlag Basel 1981
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