9
Mai
2006

Spiderwoman Speaks

It used to be quiet around here. Peaceful. Oceanic.
That was in the long ago time.
We were all one, then.
Not a matter of belief. A fact.


You could see the Web, plain as day,
spread out across the land.
Nothing frayed, nothing torn.



Just me, and all my Relations.
Weaving the shimmering, beautiful web.
Each shining strand connected to each shining,
lightwoven strand.
All one.



Maybe it began with one little fray,
one little link that broke in some insignificant place.






spiderwoman





Crevices opened. Cracks.
It doesn't matter what you call me. I've had a lot of names.
These are my children. Some of them got lost along the way.



Too many are forgotten, buried by the years.
Some have returned, some are beating like hail on the roof,
some are voices howling like coyote in the wilderness,
some are your own ghosts wandering through your sleep.



They want to come Home.
The Web needs mending.



Rainwalker, Lauren Raine

Keywords:
Göttin, Grandma Spiderwoman, Indianer, Internet, Navajo, Netz, Spinnenfrau, Spiderwoman, Schöpfungsgöttin, Web, World Wide Web, WWW, weben, spinnen

8
Mai
2006

Heilkundige Frauen oder Unheilverkünderinnen?

Was ist dran am Mythos Hexe?



‚Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. […] Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: „Wo bist du?!“ Er antwortete: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin und versteckte mich.“ Darauf fragte er: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?“ Adam antwortete: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen.“ Gott, der Herr, sprach zu der Frau: „Was hast du da getan?“ Die Frau antwortete: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.“ […] Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde die Mutter alles Lebendigen. Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit. Dann sprach Gott, der Herr: „Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Daß er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Boden des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!“ Gott der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er gekommen war. Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.’

Aus: Moses 3.I




Seit der Vertreibung aus dem Paradies gilt die Frau als die sündige Verführerin und wird für besonders anfällig für alle Arten von Laster, Verführung und Ausschweifungen gehalten. Eva hatte sich vom Teufel in Gestalt der Schlange verführen lassen, und damit war die offensichtliche Schwäche des weiblichen Geschlechts für den Satan hinlänglich bewiesen. Im Gegensatz zu Zauberern, die sich ihres Tun voll und ganz bewusst waren, waren Hexen mit ihrer eindeutigen Neigung zum Visionären und Übersinnlichen meist willenlose Opfer satanischer Tücke und Sprachrohr des Bösen.
Hexen und zauberkundige Männer und Frauen sind auch vor- und nachchristlichen Religionen auf der ganzen Welt bekannt, und auch der Unterschied zwischen böser und guter Magie existiert seit Menschengedenken. Allerdings wird die dämonische Rolle seit jeher der Frau zugeschrieben: So galt in antiken Göttersagen zum Beispiel Medea, die Tochter des Königs Aietes von Kolchis, neben Kirke als Inbegriff der Zauberei. Das Schreckensbild der bösen Hexe, die Schadenzauber betreibt, lässt sich durch viele Jahrhunderte und nahezu alle Kulturen zurückverfolgen, selbst in Babylonischen Keilschriften finden sich bereits Hinweise auf den Missbrauch von Magie durch Frauen.



Bis zum Mittelalter gehörten Hexen und Zauberer zum alltäglichen Leben; sie waren ein Bestandteil des mystischen Glaubens in der Bevölkerung. Magische Riten waren in Volksglauben und Volksbrauch fest verankert. Vor allem Männer, die sich magischer Künste rühmten, genossen lange Zeit an zahlreichen Herrscherhöfen ein hohes Ansehen. Auch die Hexen wurden nicht immer nur mit dem Teufel in Verbindung gebracht und als bösartig eingeschätzt. Die zauberkundigen Frauen setzten ihren geheimen übernatürlichen Kräfte zum Wohle ihrer Mitmenschen ein und wurden als Mittlerinnen zwischen Natur und Kultur gleichermaßen gebraucht und verehrt. Gewiß hatten ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, die ihnen Macht verschafften, für das allgemeine Empfinden schon immer etwas Dunkles und Unheimliches an sich, und das Volk brachte ihnen Bewunderung Respekt zugleich entgegen. Doch kamen sie keineswegs mit dem Gesetz in Konflikt, solange sie die Magie nicht zu bösen Zwecken anwandten.
Zauberkundige Menschen, die anderen Schaden zufügten, wurden allerdings schon immer verfolgt und hingerichtet. Und so lebten nicht nur Hexen, sondern auch Magier, Zauberer und Schamanen in allen Epochen mit der Gefahr, sich beim Versagen ihrer magischen Kräfte dem Zorn ihrer Mitmenschen auszusetzen. Auch sie wurden bei Fehlbehandlungen als Kurpfuscher verachtet, von der Justiz zur Rechenschaft gezogen und im schlimmsten Fall sogar getötet. Allerdings fanden nur sehr vereinzelt Hexenprozesse statt; von einer systematischen Verfolgung der heil- und zauberkundigen Frauen kann bis zum 15. Jahrhundert noch keine Rede sein.



Die Frau als Hüterin der Geheimnisse um das Wohl des Menschen, um seine Zeugungskraft und Fruchtbarkeit hatte in der abendländischen Kultur ihren festen Platz. Lange Zeit waren Priesterinnen stets auch Heilerinnen, das geheime botanische Wissen um Kräuter, Massagen und Tinkturen und deren Heil- und Giftwirkung zeichnete die weisen Frauen aus. Die Frau beherrschte im Mittelalter das Gesundheitswesen; anders als die Männer hatte sie eine sehr enge Bindung an Garten und Natur, etwa den Kräften des Mondes.
Die meisten heilkundigen Frauen waren Pflegerin, Ärztin, Ratgeberin und Hebamme in einer Person; sie wurden bei Krankheiten und Entbindungen gerufen, um zu heilen und zu helfen: gleichgültig, ob Nasenbluten, Gicht, Warzen, Erkältungen oder einfach nur gegen Liebeskummer und Depressionen – es gab kaum ein körperliches oder seelisches Leiden, bei dem sie keine Abhilfe schaffen konnten. Sie waren mit den meisten Heilkräutern vertraut, kannte die besten Standorte selbst äußerst seltener und begehrter Exemplare und wussten, wann und wie gepflückt werden mussten, damit sie ihre magische Wirkung am besten entfalten konnten. So durften einige Pflanzen nur zu ganz bestimmten Stunden oder ausschließlich bei zu- oder abnehmendem Mond gesammelt werden. Bei manchen Kuren oder Behandlungsmethoden war dagegen zu beachten, dass sie nur bei Vollmond durchgeführt werden durften.
Die Naturbeherrscherinnen verwendeten anregende Kräuter wie Bärlauch, Huflattich und Löwenzahn etwa bei Erkältungskrankheiten ebenso kundig und gewandt, wie sie Gundelkraut oder Minze gegen Alpträume einsetzten. Als Hebammen kannten sie zum Teil bis zu einhundert verschiedene Mittel; sie beherrschten die Möglichkeiten der Geburtenkontrolle, hüteten die Geheimnisse der Geburtshilfe und wussten um die natürlichen Mittel zur Abtreibung oder Schwangerschaftsverhütung. Die beruhigende Wirkung des Hopfens war ihnen ebenso vertraut wie die einschläfernden Wirkstoffe des Mohns oder die entzündungshemmenden Eigenschaften des Salbeis. Sie verstanden es, die richtigen Balsame zu mischen, kannten etwa die uterusanregende Wirkung der Petersilie oder die wehenfördernde von Eisenkraut und vermochten sie zur rechten Zeit einzusetzen.



Besonders die Betreuung von Schwangeren lag aus einsichtigen Gründen buchstäblich in den Händen der heilkundigen Frauen. Sie gaben Schwangeren wertvolle Ratschläge zur Ernährung, leisteten Beistand und Hilfe während der Geburt und versorgten die Neugeborenen. Sie kannten die am wenigsten schmerzhafte Gebärstellung, behandelten die werdenden Mütter mit wehenfördernden Tinkturen und halfen mit krampflösenden Tees die schlimmsten Schmerzen zu lindern. Damit jedoch zogen sie sich vielerorts den Zorn des Klerus zu. Denn schon die Kirchenväter postulierten, dass eine Geburt unter Schmerzen vonstatten gehen sollte. Schnell wurde den Hebammen ihre Kunst als Blasphemie ausgelegt.
Wie rasch sich das Ansehen einer heilkundigen Frau von gut zu böse wandeln konnte und wie ein tragischer Todesfall ausreichte, um ein ganzes Lebenswerk zunichte zu machen, zeigt exemplarisch der Fall Fall der Schul-Else aus dem Jahr 1672, die im Busecker Tal lange Jahre als geschätzte und kundige Frau zu den Bauern gerufen wurde. Mit ihren Kräuteraufgüssen hatte sie so manches Leiden gelindert, für fast alle Beschwerden hatte sie ein passendes Mittelchen parat, und als erfahrene Hebamme holte sie zahlreiche gesunde Kinder auf die Welt. Als sie eines Tages viel zu spät zu einer jungen Bäuerin gerufen wurde konnte sie das Neugeborene nicht mehr retten. Mit diesem Schicksalsschlag war ihr guter Ruf dahin. Sie wurde beschuldigt, das Kind getötet zu haben, um seine noch unbefleckte Seele dem Teufel zu weihen und anschließend aus dem Kinderleichnam eine Hexensalbe zu kochen. Und auch die zahlreichen Geschwülste und Gebrechen, die sie all die Jahre so erfolgreich geheilt hatte, sollte sie den Menschen angeblich mit Hilfe von dämonischen Mächten zuvor angehext haben. Als Beweis galten allerlei giftige Pflanzen, die man in ihrem Haus und dem Kräutergarten fand. Die Schul-Else wurde schließlich gefangengenommen und gestand ihre Tat auf der Folterbank.



Die Bevölkerung im Mittelalter hatte kaum Vertrauen zu den ausschließlich männlichen Ärzten und heilkundigen Priestern, die eher über theologisches Wissen als über praktische medizinische Erfahrung verfügten. Obwohl der Anbau von Nutz- und Heilpflanzen auch in den Klöstern weit verbreitet war, vermochten die Kleriker nicht mit der Kunst der heilkundigen Frauen zu konkurrieren. Bei Krankheiten und vor allem Geburten wurden die weisen Frauen gerufen. Gerade die Hebammen genossen hohes Ansehen und wurden, da sie Leben schenkten, beinahe als Heilige verehrt. Kein Wunder, dass der Klerus diese Frauen als eine Bedrohung ansah. Der Glaube an die Kraft der Natur und das Vertrauen in die heilende Wirkung der Kräuter – und nicht in den christlichen Gott – wurde den weisen Frauen schließlich als Häresie ausgelegt. Sie wurden der Ketzerei verdächtigt, und ihre Heilkunst, weil undurchsichtig und nicht auf kirchliche Schriften basierend, galt als Hexenwerk. Dabei schien besonders ihr alltägliches Leben die Frauen verdächtig zu machen. Die meisten Heilkundigen und Hebammen lebten ein wenig abseits, sie hielten sich – wohl auch wegen ihrer anstrengenden und zeitraubenden Tätigkeit – vom gesellschaftlichen Leben fern. Wenn sie seltene Kräuter sammelten oder Frauen bei der Geburt halfen, waren sie oft bei Nacht und Nebel unterwegs. All das genügte, um ihnen eine Nähe zum Düsteren und Schaurigen zu unterstellen. Besonders heikel wurde es für die heilkundigen Frauen naturgemäß, wenn ihre Heilkunst versagte. Dann waren sie den bösesten Verdächtigungen ausgesetzt – vor allem von seiten der Kirchen und ihren männlichen Konkurrenten, den Ärzten, Badern, Apothekern. Insbesondere die hohe Sterblichkeitsrate gab Verleumdern oftmals Anlaß, Hebammen, die ihre Kinder nur tot zur Welt hatten bringen können, bei der Obrigkeit anszuschwärzen. Die Angst, dass magische Kräuter nicht nur zum Wohl eines Menschen, sondern auch zu seinem Schaden eingesetzt werden konnten, war jedenfalls beim Volk weit verbreitet.



Der christliche Glaube ist auf das Jenseits fixiert und spricht dem Menschen die Befähigung ab, sein eigenes menschliches Schicksal beeinflussen zu können. Krankheiten werden als Prüfung oder gar Strafe Gottes angesehen, die auch nur von Gott oder mit Gottes Hilfe wieder rückgängig gemacht oder geheilt werden können. Wenn die weisen Frauen also mit ihrer Kunst Krankheiten kurierten, stellten sie sich damit – nach Ansicht des Klerus – gegen Gott und untergruben die Autorität der Kirche. Die Patienten bedurften der Hilfe Gottes nicht mehr, die Zaubertränke standen in direkter Konkurrenz zu Gebeten und Gottesglaube. Schließlich beanspruchten die christlichen Priester die Tätigkeit als Mittler zwischen Welt und Überwelt für sich.
Daß die heilkundigen Frauen, je mehr Misstrauen und Verfolgung zunahmen, dazu neigten, ihr Wissen geheimzuhalten, war verständlicherweise Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner. Der Klerus entwarf mit der Zeit ein immer schärferes Bild von der heilkundigen Frau als Verführerin oder Gespielin des Teufels. Hexen flüsterten bei der Behandlung von Kranken obskure Formeln, bedienten sich geheimnisvoller Riten oder zeichneten mysteriöse Runen auf die Körper der Kranken, um die heilende Wirkung ihrer magischen Mittel zu verstärken.



Die Kirche und ihre Hexenankläger fanden viele Gründe zur Verfolgung der heilkundigen Frauen. Der Glaube an den Luftschlag der Hexen, ihrer Verwandlung in Tiere oder der Schadenzauber wurde den weisen Frauen vorgeworfen. Da das Volk ohnehin der Meinung war, im Hexenkessel gehe es nicht mit rechten Dingen zu, war es ein leichtes, das Volk gegen die kräuterkundigen Frauen aufzubringen. Ein jeder hatte Angst vor Krankheiten oder Seuchen, durch Hagelschlag oder Dürre beschädigte Ernten. Die Theorie mit dem Dämonenpakt und der Teufelsbuhlschaft der Hexen wirkte glaubhaft, und die Ketzergerichte unterstützten den Glauben an die Realität der Dämonenwelt. So wurden schließlich Zauberei und Aberglaube mit dem Dämonenkult vermengt und zum ketzerischen Straftatbestand erklärt, die Hexerei wurde zum maleficum.
Dabei warf man den Hexen die unterschiedlichsten Taten vor, vom Wettermachen, dem Verhexen von Butter und Milch, dem Anfertigen und Anwenden der Hexensalbe über den Hexenritt, dem Herbeizaubern von Unwettern, Dürreperioden und Epidemien, der Tierverwandlung bis hin zum Bösen Blick, mit dem die Hexen vor allem Tieren und kleinen Kindern schaden konnten, indem sie ihnen den Tod oder eine unheilbare, schwere Krankheit anhexten. Auch der Hexenschuß verdankt seinem Namen dem Glauben, der Rückenschmerz entstamme der Verhexung durch eine böse Frau. Aber auch Männer mussten vor dem bösen Blick auf der Hut sein, da er ihnen angeblich die Manneskraft rauben konnte.



‚“Herr Abt, Herr Abt!“ fuhr Bernhard Gui in gestrengem Ton fort. „Euer Hochwürden weiß vielleicht nicht, was die Sünder mit diesen widerwärtigen Dingen zu tun pflegen. Ich aber weiß es sehr wohl, das walte Gott! Ich habe gesehen, wie ruchlose Weiber zusammen mit anderen ihrer Zunft in den dunkelsten Stunden der Nacht schwarze Katzen benutzen, um Hexenwerk zu verrichten, das sie nimmermehr abstreiten konnten: zum Beispiel rittlings auf dem Rücken gewisser Tiere im Schutze der Nacht gewaltige Strecken zurückzulegen, gefolgt von der Schar ihrer Sklaven, die sie in lüsterne Trolle verwandelt hatten … Und der Teufel persönlich zeigte sich ihnen – oder jedenfalls glaubten sie fest daran – in Gestalt eines schwarzen Hahns, und sie trieben’s mit ihm, fragt mich nicht, wie! Und ich weiß absolut sicher, dass mit Schwarzer Magie dieser Art erst vor kurzem in Avignon Zaubersäfte gebraut wurden, um sie unserem Herrn Papst ins Essen zu tun und ihn so zu vergiften.’

Aus: Umberto Eco, Der Name der Rose




Derart schlimme Taten konnten eigentlich nur von furchteinflößenden Kreaturen ausgehen, und so etablierte sich schon bald das Bild von der hässlichen alten Frau mit Hakennase, einem Buckel und gichtigen Fingern. Sie wohnten meist allein etwas abseits von der Dorfgemeinschaft in windschiefen Häusern mit Kräutergarten und waren den meisten Einwohnern suspekt.




‚Ein langes hagres, in schwarze Lumpen gehülltes Weib! – indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn, verzog sich das zahnlose Maul, von der knöchernden Habichtsnase beschattet, zum grinsenden Lächeln, und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken werfend durch die große Brille. Aus dem bunten, um den Kopf gewickelten Tuche starrten schwarze, borstige Haare hervor, aber zum Grässlichen erhoben sich das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über die Nase wegzogen.’

Aus: E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf




Die Vorstellung, dass der Teufel höchstpersönlich durch die Hexe wirke, war damals weit verbreitet und schürte die Angst vor den mysteriösen weisen Frauen. Man unterstellte den Hexen zwar, dass sie fliegen und zaubern konnten, doch wurden diese Fähigkeiten nicht als ihre eigenen angesehen; der Pakt mit dem Teufel war stets die notwendige Voraussetzung für ihr Handeln. Bei vielen herrschte die Meinung, Hexen bildeten sich nur ein, überirdische Mächte und Kräfte in Bewegung zu setzen, und seien eigentlich ganz machtlos; doch auch diese Ansicht konnte unzählige Frauen im Mittelalter nicht vor ihrem tragischen Schicksal auf dem Scheiterhaufen bewahren.
Zunächst traf es meist arme und wehrlose alte Frauen, die am Rande der Gesellschaft lebten und ohne richtige Entlohnung für die Armen und Bauern tätig waren. Ihnen fehlte jegliche soziale Bindung, so waren sie in der Regel leichte Opfer für die Inquisitoren.




‚Dem Hause des Herrn Pineiß gegenüber war ein anderes Haus, dessen vordere Seite auf das sauberste geweißt war und dessen Fenster immer frisch gewaschen glänzten. […] Und ebenso weiß war der Habit und das Kopf- und Halstuch einer alten Beghine, welche in dem Hause wohnte. […] So scharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Kleidung, so scharf war auch die lange Nase und das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der böse Blick ihrer Augen. […]
Alle Tage ging sie dreimal in die Kirche, und wenn sie in ihrem frischen, weißen und knitternden Zeuge und mit ihrer weißen spitzigen Nase über die Straße ging, liefen die Kinder furchtsam davon, und selbst erwachsene Leute traten gern hinter die Haustüre, wenn es noch Zeit war. Sie stand aber wegen ihre strengen Frömmigkeit und Eingezogenheit in großem Rufe und besonders bei der Geistlichkeit in hohem Ansehen. […]
So weiß und hell aber das Haus der Beghine nach der Straße hin aussah, so schwarz und räucherig, unheimlich und seltsam sah es von hinten aus […] Unter dem Dache dort hingen alte zerrissene Unterröcke, Körbe und Kräutersäcke, auf dem Dache wuchsen ordentliche Eibenbäume und Dornsträucher, und ein großer rußiger Schornstein ragte unheimlich in die Luft. Aus diesem Schornstein aber fuhr in der dunklen Nacht nicht selten eine Hexe auf ihrem Besen in die Höhe, jung und schön und splitternackt, wie Gott die Weiber geschaffen und der Teufel sie gerne sieht.’

Aus: Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla





Durch den Verdacht, die Frauen stünden mit bösen Mächten in Verbindung, und die damit einhergehende angebliche Verschwörung gegen die Kirche und deren Moral gab es einen Grund, die Hexen systematisch zu verfolgen. Die Kirche spielte sich als Retterin des Volkes auf und schritt unter Vorspiegelung moralischer Motive zur grausamen Tat. Der Wirkungskreis der Hexen, die ursprünglich weise Frauen und Hebammen waren, wurden von den Regierenden immer stärker beschnitten. Im 15. Jahrhundert gab es einen Gesetzeserlaß für den Heilbereich, der die Hebammenordnung einführte, die Hebammen unter die Aufsicht eines männlichen Arztes stellte und ein Heilverbot für Frauen enthielt. Dieser Erlaß ging einher mit dem Beginn der großangelegten Hexenverfolgung und damit dem unmenschlichen und grausamen Vorgehen gegen der Hexerei bezichtigte Frauen. Die systematische Ausrottung der Hexen und die Dämonisierung der Frau als unkontrollierbare Übeltäterin wurde im Jahre 1484 durch die päpstliche Bulle von Innozenz VIII. eingeleitet. In Deutschland schloß sich daran der Hexenhammer, auch maleficus maleficarum genannt, der von Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, den beiden Chefinquisitoren des Mittelalters, verfasst wurde. In dieser Schrift waren die mittlerweile verbotenen und strafbaren einzelnen Formen der Hexerei, des Hexenglaubens und die Zauberdelikte ebenso definiert wie die Verfahrensführung im Anklagefall oder die anzuwendenden Foltermethoden und Strafen. Zu den Hauptanklagepunkten zählten der Kontakt mit dem Teufel, der Hexenritt sowie die Begehung des Hexensabbats. Nun waren Mord, Giftmischerei, Verschwörung und sexuelle Freizügigkeit als klar festgelegte Delikte der Hexerei amtlich dokumentiert und als moralische und religiöse Vergehen verdammt. Das Volk wurde zur Denunziation aufgerufen; unbegründete Verleumdungen und Verdächtigungen von missgünstigen Nachbarn reichten aus, um Frauen auf die Folterbank zu zwingen.




Nun aber hat es bald ein laut Gerücht im Dorf gegeben […); man wisse nun, die Hexe von Schwabstedte sei es gewesen, die auf ihrem Roß allsonntags in das Dorf gekommen; ja deren etliche hatten sichere Kunde, dass sie, unter Vorspiegelung trügerischer Heilkunst, dem armen Herrn Josias das Leben abgewonnen habe.’

Aus: Theodor Storm, Renate





Doch nicht nur persönliches Elend und Neid schürten die wohl organisierte und von der Kirche verfolgte Verfolgung, schließlich wurde die Denunziation von verdächtigen Frauen für so manchen zum einträglichen Geschäft. In einigen Gegenden wurde ein hohes Kopfgeld als Belohnung gezahlt. Die Wahnideen der Verfolger wurden jedoch lediglich durch Vermutungen, Behauptungen und pseudowissenschaftliche Beweisführung untermauert., welche keineswegs logischen Argumenten folgte. Die Hexerei galt ähnlich wie Hochverrat als Majestätsverbrechen, was bei den Prozessen eine Abweichung von den üblichen Untersuchungsverfahren möglich machte. Statt dessen wurden eigens für die Hexen neue Möglichkeiten der Wahrheitsfindung wie zum Beispiel die Hexenproben eingerichtet. Dabei wurden die Frauen entweder beim Hexenbad, auch Wasserprobe genannt, auf ihre Unschuld geprüft. Sie wurden an Händen und Füßen gefesselt ins Wasser geworfen; gingen sie unter und ertranken, galten sie als unschuldig; blieben sie jedoch an der Wasseroberfläche, waren sie als Hexen entlarvt und wurden anschließend verbrannt. Oder sie wurden auf einer sogenannten Hexenwaage gegen Biblen aufgewogen; ihre Unschuld galt als bewiesen, wenn sie schwerer waren als die heiligen Bücher. Später begnügte man sich einfach damit, ihr besonders niedriges Gewicht festzustellen. Hinter diesen Methode steckte einerseits der abergläubische Gedanke, dass die Hexe ihre Seele an den Teufel verhökert habe und somit leichter als gewöhnliche Menschen sei, andererseits versuchte man sich den Hexenflug damit zu erklären: wer so leicht sei, dass er auf einem Besen durch die Lüfte reiten kann, bringt kein normales Gewicht auf die Waage. Den Angeklagten blieb überhaupt keine Möglichkeit, ihre Unschuld unter Beweis zu stellen. Legten sie ein Geständnis ab und gaben die Namen von vermeintlichen Komplizinnen preis, hatten sie ihr eigenes Todesurteil gesprochen. Waren sie jedoch nicht geständig und ertrugen die Qualen stumm, galt dies nur als ein weiterer Beweis für ihren Pakt mit dem Teufel, mit dessen Hilfe sie schmerzunempfindlich wurden.
Unerbittlich verfolgte die Kirche die Heilerinnen und ruhte nicht eher, bis unzählige Frauen ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen mussten. Die genauen Zahlen der Opfer sind bis heute umstritten, die verschiedenen Quellen sprechen von 100.000 bis zu Millionen von Toten.



Die Hexenverbrennungen zogen in mehreren unterschiedlich starken Wellen über Europa hinweg und fanden ihren Höhepunkt Mitte des 16. Jahrhunderts, als Hungersnöte und Pestepidemien das Leid der Menschen ins Unerträgliche steigerten und in erster Linie die Hexen als Sündenböcke für all die Katastrophen herhalten mussten. Eines der berühmtesten Opfer der Inquisition während der Hochphase der Hexenverfolgungen im 15. Jahrhundert ist Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, die wie viele andere auf dem Scheiterhaufen den Tod fand. Sie glaubte sich durch Stimmen zum Kampf gegen die Engländer berufen. Angeblich hielt sie sich für eine Abgesandte Gottes, weswegen sie als Ketzerin und Zauberin bezichtigt und angeklagt wurde. Sie verteidigte sich mit großem Mut und Eifer, unterzeichnete dann aber eine Abschwörungsformel, um dem Feuertod zu entgehen. Als sie dennoch zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, widerrief sie ihren Schwur und wurde 1431 verbrannt. Einige Jahrhunderte nach ihrem Tod wurde die französische Nationalheldin übrigens erst selig- und dann heiliggesprochen.
Obwohl es schon immer vereinzelte Gegner der Hexenprozesse gab, die sich mutig der Obrigkeit widersetzten und die Willkür der Anklagen oder erzwungenen Geständnisse anprangerten, dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis der systematischen Jagd auf die weisen Frauen ein Ende bereitet werden konnte. Die letzten Hexenprozesse fanden in Deutschland zu Lebzeiten Schillers, Goethes, Lessings und Kants statt. Im Jahr 1775 wurde in Deutschland mit Anna Schwägelin, der Tochter eines Tagelöhners, die sich angeblich abfällig über die Mutter Gottes geäußert hatte, die letzte Hexe hingerichtet. Zwar wurden auch in der Zeit danach weiterhin Hexenprozesse geführt, doch endeten sie für die Angeklagten nicht mehr auf dem Scheiterhaufen.




Aus:
Angela Troni (Hrsg.), Feuer sprühe – Kessel glühe. Ein Hexenkochbuch, Rütten & Loening, Berlin 2002

Bestellt bei:
Lustwandel
Die Buchhandlung für erotische Literatur & Kunst in Berlin




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7
Mai
2006

...

Chiapas Indymedia

chiapas.ch:
EZLN ERKLÄRT ALARMSTUFE ROT
Aufruf der Sechsten Kommission der EZLN an die Andere Kampagne, die Compañeros aus Atenco zu verteidigen

Compañeros, Compañeras:

Vor einigen Minuten sahen und hörten wir in den Medien die Art und Weise der Berichterstattung über die Geschehnisse. Wir hörten die Berichterstatter und Berichterstatterinnen, wie sie darum flehten, dass Ordnung einkehren möge, dass die Armee einrücken möge, um Ordnung zu schaffen und das zu beenden, was dort geschah. Wir hörten auch die Empörung der Zuschauer, die Briefe schickten, in denen stand, dass die Berichterstatter Idioten seien, die darum baten, dass noch mehr Sicherheitskräfte eingesetzt werden sollten. Vor Jahren gab es hier, auf dem Platz der Drei Kulturen, ein Massaker, und damals behauptete die Regierung, die Armee sei angegriffen worden. Und es verging viel Zeit, bis jemand fragte, was die Sicherheitskräfte eigentlich auf einer studentischen Versammlung verloren hatten. Und jetzt kommen diese Medien, auch das Radio, nicht auf den Gedanken zu fragen, was denn die Sicherheitskräfte eigentlich in San Salvador Atenco taten. Diese Allianz zwischen PRD und PRI veranlasste nämlich die Räumung einiger Blumenverkäufer, da sie dem Präsidenten des Landkreises von Texcoco hässlich für das Stadtbild erschienen; weil er lieber ein Einkaufszentrum da hätte, ein Wal-Mart dort in Texcoco, und da stören ihn die kleinen Händler, und auch die PRD, die dort mit der PRI auf Landesebene und mit der PAN auf Bundesebene verbündet ist, wird nun diesen Tod mit verantworten müssen. Als Sechste Kommission der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung und der Anderen Kampagne verpflichtete Organisation fordern wir, beantragen wir respektvoll bei den regionalen und lokalen Koordinatoren im ganzen Land, dass sie Aktionen und Mobilisierungen zur Unterstützung der Front der Völker zur Verteidigung der Erde ("Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra"), vereinbaren und ausführen, die ab morgen, 4.Mai 2006 früh 8 Uhr stattfinden sollen.

Als Sechste Kommission erklären wir die Alarmstufe Rot. Bei den Truppen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung trat bereits die Rote Alarmstufe in Kraft und die Caracoles und Autonomen Rebellischen Zapatistischen Landkreise werden geschlossen. Ab diesem Moment agiert abereits die nächste Stufe der Kommandantur in der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung. Was auch immer mir zustoßen mag, dort werden die entsprechenden Entscheidungen getroffen. Wir wissen nicht, wie es Euch geht, aber wir, die Zapatistas, sind heute Atenco.

Wir erwarten Eure Forderungen. Wir rufen dazu auf, regional und nach Sektoren Versammlungen durchzuführen, je nachdem, wie Ihr denkt und diese Aktionen vereinbart. Als Sechste Kommission sagen wir alle Aktivitäten, die auf unserem Programm stehen, ab und warten auf Anweisung der Front der Völker zur Verteidigung der Erde. Wenn unsere Anwesenheit dort gebraucht wird, werden wir da sein. Wenn nicht, werden wir uns direkt an einer der Aktionen beteiligen, die Ihr für morgen früh 8 Uhr veranschlagt. Straßensperren auf dem Land und in der Stadt, Flugblattaktionen, Malaktionen, was Euch einfällt, auf friedliche Art. Atenco darf nicht allein sein. Wir werden diese Aktionen erst wieder einstellen, wenn die Compañeros und Compañeras der Front der Völker zur Verteidigung der Erde uns dazu auffordern.

Wir werden jegliche Information ignorieren, die nicht über sie zu uns kommt. Für uns sind die, die die Front der Völker zur Verteidigung der Erde bilden, die Andere Kampagne in dieser Region. Wir werden soweit gehen, wie sie es uns sagen. Ihre Forderungen waren deutlich: sofortige Freilassung der Gefangenen und kompletter Rückzug der Sicherheitskräfte, die in ihr Gebiet eindringen.

Das ist unsere Nachricht, Compañeros und Compañeras. Nicht nur für die Andere in diesem anderen Mexiko, in dieser anderen Stadt Mexiko, die gerade entsteht. Es ist unsere Nachricht an die Andere Kampagne im ganzen Land. Von Chiapas, Quintana Roo, Yucatán, Campeche, bis zu den zwei Baja Californias, Sinaloa, Chihuahua, Tamaulipas, Nuevo León. Von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, soll sich die Andere Kampagne in Atenco vereinigen, bis es Gerechtigkeit für die Gefallenen gibt. Danke Compañeros, danke Compañeras.


Crackdown in Mexico; Death, Injuries and Jail.
Organizers from the People's Front have attended several meetings of the Zapatista's Other Campaign, and hosted subcomandante Marcos' arrival in Atenco. During his visit, Marcos promised to align the Zapatista Army of National Liberation with Atenco's struggle.

27
Apr
2006

Hetären, Lustknaben und Matronen

Athen, 5. Jahrhundert v. Chr.


Aspasia. Was für eine Frau kann das bloß sein?
Die besten Männer des großen Athen sitzen zu ihren Füßen. Der Philosoph Sokrates verrät seinen Schülern, dass er von ihr die Kunst der Beredsamkeit gelernt habe.
Perikles verfällt ihr mit Haut und Haaren – Perikles, der weise Staatsmann, der in diesem fünften vorchristlichen Jahrhundert seine Stadt gerade auf den Höhepunkt der abendländischen Kultur führt und Maßstäbe setzen lässt, die zweieinhalb Jahrtausende später für die ganze Welt gelten sollen. Denn im Athen des Perikles und der Aspasia befruchten einander Politik, Staatsbürgersinn, Kunst, Wirtschaft, Philosophie, Literatur und Wissenschaft wie niemals zuvor und niemals mehr danach in einem Staat.
Aspasias Mädchenschule für Philosophie und Rhetorik ist der Ort, wo Perikles und Sokrates miteinander reden können, wo die Denker Anaxagoras und Protagoras mit dem Bildhauer Phidias und den Dichtern Sophokles und Euripides zusammenkommen und der junge Sokrates-Zögling und künftige Feldherr Alkibiades die Ohren spitzt, wenn der Historiker Herodot von seinen Reisen berichtet. Alle diese Stammväter der abendländischen Zivilisation leben zur selben Zeit in der selben Stadt und suchen einander, um miteinander reden zu können. Wie die Weisen und die Künstler einander suchen, um sich gegenseitig die Augen zu öffnen.



Ein solches Treffen zu philosophischen Streitgesprächen, Wein und Gesang nennen die Griechen ‚Symposion’, und ein Symposion endet nicht selten mit Gruppensex. Bei Aspasia wird das zumindest vor ihrer endgültigen Bindung an Perikles nicht anders sein, denn Aspasia ist eine professionelle Hure.
Vor allem stammt sie aus Milet, jener Stadt an der kleinasiatischen Küste, in der persischer Glanz das noch frugale griechische Leben zuckert.
Milet pflegt eine Tradition des Denkens und Tuns, die sich nicht durch Traditionen fesseln lässt. Keine andere Stadt der griechischen Welt bricht mit der Konvention so bereitwillig wie diese. Milet versorgt die hellenische Welt nicht nur mit den reichen Früchten des Mäandertales und den Waren von den Karawanenwegen Anatoliens, sondern auch mit Männern wie Thales, Anaximander und Anaximenes – den ersten großen Philosophen der Geistesgeschichte. Milet hat aber auch den Dildo erfunden und stellt diesen als Massenprodukt für den Export sowohl in die persischen Länder wie in die griechischen Städte her. Der Dildo ist ein aus weichem Leder geformter Kunst-Penis, der gewisse Defizite ausgleichen soll. Vor allem aber versorgt Milet die Griechen mit fein- und freisinnigen Hetären vom Typ Aspasia, den ersten Emanzen der abendländischen Geschichte.
Das Christentum gibt es noch nicht, und Sex ist für die Griechen keine Sünde. Er ist nicht einmal mit seelischen Beiwerk belastet. Sex ist im fünften vorchristlichen Jahrhundert ein Genuß wie Essen und Trinken, flüchtig und kurz, aber zutiefst befriedigend. Ein folgenloses Vergnügen, das Athens Elite nach den vielleicht hochklassigst besetzten Diskussionsabenden in der Geschichte des Abendlandes auf die gleiche Weise schamlos und unschuldig genießt wie man später einmal einen kleinen Snack nach einer anstrengenden Konferenz genießen wird.




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Die freie Sexualität ist allerdings nur für Griechen üblich, nicht für Griechinnen. Was den gebildeten Hetären (‚Gefährtinnen’) wie Aspasia und den Auletrides (‚Flötenspielerinnen’) genannten kunstsinnigen Partyhuren, den Tempelhuren (für die Fremden) und den Billighuren (‚Pornai’) erlaubt ist, gilt in Hellas in keiner Weise für die bürgerliche Frau. Die verbringt ihre Jahre abgeschottet von der Öffentlichkeit und führt das an Sinnenfreuden und geistigen Anregungen arme Leben eines Hausmöbels.
Die einzige Entwicklungsmöglichkeit, die ihr gegeben ist, sind die Metamorphosen von der einsamen Haussklavin über die nörgelnde Hausfrau zum keifenden Hausdrachen. Sie ist die Tyrannin innerhalb der gemeinsamen vier Wände; aber ihr Mann verbringt seine Tage lieber draußen in der Öffentlichkeit. Dort führt er ein Leben, das mit dem ihren nichts zu tun hat.
Mit dieser Trennung der Bereiche in eine männliche und eine weibliche Welt nach altorientalischem Muster legen die Griechen, die doch ansonsten so viele Grundmuster des ihnen geografisch nahen Ostens völlig neu überdenken und dadurch den individualistisch ausgerichteten europäischen Lebensstil entwickeln, die Basis für den Ehekrieg, den der abendländische Kulturkreis auch 2500 Jahre später noch immer nicht befriedet hat.
Die Trennung der Lebensbereiche in der Urzelle der westlichen Zivilisation setzt sich bis heute fort. „Frauen sind eine andere Nation“, wird noch im 20. Jahrhundert ein beliebter Seufzer an den Stammtischen sein. Oder: „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen, bis auf eine einzige Stelle.“



Wie im fünften vorchristlichen Jahrhundert wird noch im Zeitalter der Raumfahrt insbesondere in den Ländern des Mittelmeerraumes und deren kulturellen Ablegern in Lateinamerika eine Einteilung der Weiblichkeit in ehrbare Frauen für das eigene Haus und aufregende Frauen für das Vergnügen gelten. In Macho-Land Mexiko werden Männer nicht mit ihren Frauen auf Gesellschaften gehen, sondern mit ihren Geliebten und dort Sprüche von sich geben wie: „Seine Ehefrau soll ein Mann behandeln wie sein Gewehr: Laden und hinter die Tür stellen“.
Diesen Satz würden auch die alten Griechen unterschreiben, wüssten sie nur schon, was ein Gewehr ist.
Die Athenerin des Goldenen Zeitalters wird in der Regel im Alter von 15 Jahren verheiratet. Der Ehemann und künftige Versorger ist von den Eltern oder von einem berufsmäßigen Eheanbahner vermittelt worden. Er ist in den meisten Fällen schon gut 30 Jahre alt und heiratet nicht aus Lust und Liebe, sondern weil er gerade eine Mitgift brauchen könnte und eine Frau zum Gebären des Nachwuchses benötigt, welcher später einmal seine Geschäfte weiterbetreiben soll.
Bei Männer-Defiziten nach verlustreichen Kriegen werden, Ehrensache für einen pflichtbewussten Staatsbürger, Nebenfrauen samt Habe dazugeheiratet.
Ehepartner haben einander wenig zu sagen im alten Griechenland, schon weil sie nicht derselben Generation angehören. Außerdem bringt man einer jungen Griechin im Goldenen Zeitalter Athens nicht einmal das Lesen und Schreiben bei, während der junge Athener bereits eine erstklassige Erziehung in Sachen allgemeiner Bildung, Sport, Kriegswesen und Manieren genossen hat. Er ist den Umgang mit vielen Menschen gewohnt, sie kannte bisher nur die Mitbewohner ihres Vaterhauses.
Der Historiker Plutarch wird noch ein halbes Jahrtausend später nach dem Goldenen Zeitalter von einem Herrscher namens Hiero berichten, der von einem Gegner wegen seines Mundgeruchs verspottet worden war. Daraufhin sei Hiero nach Hause gelaufen und wollte von seiner Frau wissen, warum sie ihn niemals auf dieses Übel aufmerksam gemacht habe. Die Frau antwortete: „Ich dachte, alle Männer riechen so“.
Die Braut im klassischen Altertum kennt sich nicht nur nicht aus mit den Gerüchen, sondern auch nicht mit dem Wesen der Männer. Wie sollte sie auch? Ihr Vater lebte immer in der Öffentlichkeit, bei seinen Geschäften, im Kreis seiner Freunde und in seinem politischen Zirkel und kam immer nur zum Schlafen heim. Und ihre Brüder wurden schon mit sechs Jahren aus dem Frauenbereich des Hauses entfernt und in der Abgeschlossenheit des Gymnasion und der Ephebenkaserne erzogen.
So hat auch der Bräutigam in den ersten Jahren seiner sexuellen Begierden so gut wie nie Frauen gesehen, auf die sich seine erwachte Lust hätte richten können. Dies erklärt vielleicht die auffällig häufige und ungeniert bekannte Neigung vieler Hellenen zur Homosexualität.
Allerdings hat auch die gleichgeschlechtliche Liebe strenge Regeln. Es ist immer der Ältere, der um die Gunst des Jungen wirbt, und es ist immer der Jüngere, der die passive Rolle des sich Hingebenden spielt, die im Macho-Griechenland als die Pose des Geschändetwerdens gilt. Triumphbilder nach dem Sieg in Marathon zeigen gebeugte persische Soldaten, die sich von herrischen griechischen Bezwingern penetrieren lassen müssen.
In der griechischen Homosexuellen-Beziehung spielt der junge Partner die als demütig geltende passive Rolle, weil er sich in seinem älteren Liebhaber einen aktiven Förderer und Erzieher und lebenslangen Freund in allen Lebenslagen erschmeicheln will und weil vornehme oder viele Liebhaber das Ansehen des Athener Yuppie unter seinen Altersgenossen fördern. Denn der griechische Mann ist schon als Jüngling in seiner Eitelkeit kaum zu überbieten.



Auch die Regierungen der sich so regelmäßig bekriegenden griechischen Staaten, insbesondere Sparta, haben nichts gegen die bevölkerungspolitisch unnütze Päderasten-Liebe. Im Gegenteil, denn sie stärkt die Wehrkraft. Platon, ein Schüler von Sokrates, philosophiert: „Eine Handvoll Liebender und Geliebter, die Schulter an Schulter kämpfen, könnte eine ganze Armee in die Flucht schlagen. Denn für einen Liebenden wäre es unerträglich, von seinem Geliebten dabei gesehen zu werden, wie er die Waffen wegwirft.“
Für die hohe Kampfkraft homosexueller Einheiten gibt es Belege. Der letzte griechische Widerstand in der Schlacht von Chaironeia gegen die vereinten Heere des makedonischen Königs Philipp II. und seines Sohnes, des künftigen Alexanders des Großen, wird von dem berühmten Bataillon von Theben geleistet, das ganz aus Schwulen-Paaren zusammengesetzt sein wird. Alle 300 Kämpfer dieses Verbandes werden fallen, nicht einer wird überleben. Alexander wird diese Idee aufnehmen und sich mit homosexuellen Kameraden-Paaren an der Spitze bis nach Indien durchschlagen.



Mit ganz anderen Problemen schlagen sich die griechischen Heterosexuellen in der Ehe herum. Die Ehefrau darf das Haus ihres Ehemannes nur gelegentlich verlassen, wenn sie eine Freundin oder Verwandte besucht. Aber dann nur in Begleitung eines Aufpassers. Die Griechen haben dieses System von ihren Handelspartnern im Orient abgeschaut und finden es bequem so. Denn Männer, die auf Schiffen die Meere bereisen, schlafen besser, wenn sie wissen, dass sich die Frauen nicht herumtreiben und deshalb nicht von fremden Männern geschwängert werden können. Der Nachteil dieses Systems ist freilich, dass eine eingesperrte Frau auf die Dauer leider ein wenig arg langweilig und übellaunig wird.
Die sexuellen Freuden einer griechischen Ehe müssen karg sein. Denn zum einen hat die junge Frau keine Erfahrung im Umgang mit Männern, ist in der Regel nicht einmal aufgeklärt worden. Sie hat wenig zu bieten, was seine Lust anstacheln könnte, wenn ihre jugendfrischen Reize nicht mehr wirken. Er dagegen hat seine Freunde und sucht, wenn er der Päderasterei überdrüssig ist, sein Vergnügen lieber bei professionellen Huren. Denn die wissen, was einen eitlen Mann in Exstase bringt. Auch die billigsten wissen es. Auf attischen Vasen und Tellern mit erotischen Szenen bietet sich das Party-Girl ihrem Partner fast immer rückseitig an.
Die Pose der Selbstauslieferung und Unterwerfung des knieenden Weibes an die Aggressivität des sie von hinten penetrierenden Manne elektrisiert eine aus der Evolution stammende uralte sadomasochistische Wurzel im Geschlechtsakt, die um so heftiger genossen werden kann, je unverbindlicher die Beziehung der beiden Sexualpartner ist. Dagegen wird eine Frau, die mit einem Mann eine Gemeinschaft unterhält und deshalb eine gleichgewichtige Lebenspartnerschaft anstrebt, diese Praktiken mit der Zeit meiden.
Die Anatomie zwingt sie zwar auch bei Vis-a-Vis-Sexualstellungen in die Rolle des Partners, der sich penetrieren lassen muß, und macht den Partner zu dem Partner, der penetrieren darf. Wenn sie es aber mit ihm Auge in Auge, Vorderseite an Vorderseite, tut, kann sie verhindern, dass aus dem Liebesakt ein Täter-Opfer-Rollenspiel für andere Lebensbereiche in dieser Beziehung abgeleitet wird.
Im Liebesspiel zwischen der Hure und dem Kunden aber spielt das keine Rolle. Sie kann ihm alle tierischen Freuden der Urzeit bescheren, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Denn schon am nächsten Tag wird sie ihren Hintern einem anderen entgegenstrecken – und kein Freier wird sich einbilden können, er sei der Meister in dieser Beziehung.



Wir können uns gut vorstellen, dass wegen der ungleichen Rechte zwischen Ehemann und Ehefrau und wegen der ungleichen Verteilung der erotischen Fähigkeiten und Möglichkeiten zwischen einer attischen Ehefrau und einer attischen Hure die Ehefrau schon sehr bald nach der Heirat vernachlässigt wird. Wir können uns denken, dass im Laufe einer griechischen Ehe die Ehefrau zu einer misslaunigen Furie wird. Sokrates’ Gattin Xanthippe gibt diesem Frauen-Typus die für immer gültige Bezeichnung.
Wir können uns aber auch vorstellen, wie der gebildete, für weltmännisches Auftreten in der Öffentlichkeit erzogene attische Ehemann in dieser Ehe mit seinem langweiligen und grantigen Dummchen zu einem immer arroganter werdenden Kotzbrocken wird – bis er eines Tages auf eine ganz andere Art von Frau trifft: die hochgebildete, unabhängige und lebenskundige Hetäre. Dann aber ist es um ihn geschehen.
Erst beschwingt die Hetäre seinen Geist durch blitzgescheite Gedanken, dann bietet sie sich ihm mit ihrer Kehrseite an. Das ist mehr als ein griechischer Mann verarbeiten kann.
Athens Nobel-Prostituierte können für ihre geistigen, seelischen und körperlichen Dienste horrende Preise verlangen, und dennoch gebärden sich die bedeutendsten Griechen des Goldenen Zeitalters als winselnde Männlein. Die Hetären erniedrigen die klingendsten Namen der abendländischen Kulturgeschichte zu lächerlichen Tölpeln. Athens große Männer sind vollkommen wehrlos gegen den bis dahin in Griechenland völlig unbekannten Typ der emanzipierten intellektuellen Frau.



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Ein paar Beispiele:
Um die zunächst noch mit Sokrates verbundene Aspasia ganz für sich zu gewinnnen, lässt sich Perikles, Athens glänzendster Staatsmann, scheiden. Er geht nur noch selten zu Versammlungen und unter die Menschen. Er will lieber in ihrer Nähe bleiben und isoliert sich damit politisch immer mehr, vor allem bei den Konservativen, die sich darüber ärgern, dass die sendungsbewußte Aspasia auch bei den bürgerlichen Frauen den Drang nach Bildung und Freiheit weckt und zu ihrem Nobelbordell nun auch noch eine Mädchen-Schule für Philosophie eröffnet. Sicher findet der Peleponnesische Krieg, der Athen und der Macht der Griechen den Niedergang bringen wird, nicht wegen Aspasia statt, sondern weil die Spartaner und andere griechische Städte die Bäume der Athener nicht in den Himmel wachsen lassen wollen. Aber ausgebrochen ist der Krieg durch einen Angriff Athens auf die Stadt Megara. Der Komödiendichter Aristophanes klatscht, Perikles habe sich an Megara rächen wollen, weil diese Stadt zwei Huren aus Aspasias Institut entführt habe.
Die Hetäre Thargelia, eine Mata Hari des Altertums, horcht Athens Staatsmänner aus und stockt ihre Liebenshonorare auf durch den Verrat dieser Erkenntnisse an den persischen König Kyros.
Lais von Korinth will dem Bildhauer Myron Modell stehen, aber als sie mit ihm spricht und sich entkleidet, kann er nicht mehr arbeiten und bietet ihr sein ganzes Vermögen für eine einzige Liebesnacht. Sie verweigert sich ihm. Dem großen Demagogen Demosthenes raubt sie mit einer Forderung von 10 000 Drachmen (den Gegenwert von 5000 Paar Schuhen) erst die Worte, dann freilich auch die Lust. Schöne Männer und den bettelarmen Denker Diogenes liebt Lais dagegen zum Nulltarif. Dennoch wird sie so reich, dass sie Tempel und öffentliche Bauten finanziert und verarmten Freunden wieder auf die Beine hilft. Sie stirbt arm, wird dann aber von ihren früheren Bewunderern mit einem prachtvollen Grabmal geehrt.
Phryne, die den Bildhauer Praxiteles zu der Idee inspiriert, erstmals nackte Frauenkörper aus dem Stein zu meißeln, wird in ihrem Salon Athens von wichtigsten Männer so reich beschenkt, dass sie ihrer Heimatstadt Theben anbieten kann, die Stadtmauer oder einen Teil der Mauer auf ihre Kosten renovieren zu lassen. Weil sie aber verlangt, dass dann ihr Name auf dem Bauwerk verewigt werde, lehnen die stolzen Thebaner ab.
Lamia baut als Mäzenin die zerstörte Bildergalerie der Stadt Sikyon wieder auf.
Themistone kann ihren Beruf noch als alte Frau ausüben, so sehr faszinieren ihr Charme, ihr Geist und ihr erotische Know-How die Männer.
Um der mitgereisten Edelhure Thais aus Athen, Geliebte des Alexander-Freundes und künftigen ägyptischen Königs Ptolemäus, zu imponieren, wird sich Alexander der Große als feuriger Rächer für die schon 150 Jahre zurückliegende Zerstörung von Thais’ Heimatstadt Athen durch König Xerxes produzieren. Er wird beim Gelage zur Feier der Eroberung von Persepolis den Palast des Xerxes, in jener Zeit das vermutlich prächtigste Gebäude der Welt, abfackeln lassen. Vielleicht ist es dieser Frevel, der den besiegten Orient daran hindern wird, ganz und gar die westlichen Prinzipien zu übernehmen. Bis zum Brand von Persepolis werden die Götter des Nahen Ostens Alexander als den einen göttlichen jungen Helden bewundern, danach aber erkennen sie ihn ihm den spätpubertierenden Hooligan.



Vor allem die Dichter und Philosophen des alten Hellas suchen Inspiration und Glück bei Hetären: Sophokles liebt noch als Greis die käuflichen Schönen Theoris und Archippe, Sokrates’ Schüler Platon die Archeanassa, Platons Schüler Aristoteles wird am Gängelband der Herpyllis gehen, Epikur empfängt von Leontion und Danae wichtige Impulse für seine Idee, dass sich der Mensch seine innere Ruhe besser abseits geschichtsträchtiger Öffentlichkeit holen solle.
Der Erfolg der Hetären Athens und die Art, wie große Männer sich für sie ruinieren (oder an ihnen wachsen), beweisen, dass Männer in ihrem tiefsten Kern sich nach einer klugen Gefährtin sehnen. Sie haben sich selbst eine verhängnisvolle Falle gebaut, als sie in Sorge um die Nachweisbarkeit ihrer Urheberschaft am Nachwuchs ihre Frauen hinter die Haustüren verbannten, ihnen Bildung und Lebenserfahrung vorenthielten und die Welt aufteilten in männliche und weibliche Domänen.


Aus:
Reinhold Dörrzopf, Eros Ehe Hosenteufel. Eine Kulturgeschichte der Geschlechterbeziehungen, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1995



Keywords:
Alexander der Große, Archippe, Alkibiades, Anaxagoras, Anaximander, Anaximenes, Antike, Archeanassa, Aristoteles, Aspasia, Athen, Danae, Dildo, Diogenes, Ehe, Epikur, Euripides, Familie, Frau, Gender, Gendercoaching, Gender Coaching, Gender-Coaching, Griechenland, Gruppensex, Herodot, Herpyllis, Homosexualität, Hure, Hetäre, Lais von Korinth, Mädchenschule, Milet, Perikles, Persepolis, Phideas, Philosophie, Phryne, Platon, Praxiteles, Ptolemäus, Sokrates, Sophokles, Thais, Thargelia, Theoris, Sex, Sexualität, Sparta, Symposion, Tempelhure, Theben, Themistone, Xanthippe, Xerxes

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"Iran erlaubt Frauen Stadionbesuch"
Zohreh Suleimani Photojournalist:
Women Football Fans

24
Apr
2006

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Medea Stimmen

21
Apr
2006

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Fotographie Kim Rebecca Feldgen
Mit Dank an Kim für das Fotoshooting 'Helen und Olli'
Wen es interessiert: Kim ist 13 Jahre!

Wie es in den Wald hineinlauscht ...

Wäre ich wirklich interessiert an dem Ruf meines Online-Magazins, würde ich mich beispielsweise bei Gelegenheit in einem intensiven Gespräch mit denen unterhalten, die private Gespräche von BloggerInnen über Telefonterror und Triller-Pfeifen missverstehen als trafficfördernde Inspiration für ihre Artikel. Es könnte nämlich sonst sein, dass derart Belauschte/r solche Zeilen in Zukunft ebenfalls wieder betrachten als trafficfördernde Inspiration für Blogbeiträge das neue Projekt. Ajax kann mehr ... !

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"Die EZLN ist out? Die „Andere Kampagne“ und die staatsorientierte Linke in Lateinamerika"

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Zoogeschichten

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Du solltest dich langsam aber sicher entscheiden, ob du mit mir oder gegen mich spielen willst. Eine andere Lösung gibt es nicht.

19
Apr
2006

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hase

Momentan keine Interaktion. Sorry!
Projekt-Phase.

Gehirnwäsche

Keywords:
Timothy Leary, Robert Anton Wilson, John Lilly, Gehirnwäsche, Bewusstsein, Bewusstseinskontrolle, Nervensystem, Gehirnprogrammierung, Sinne



Co-Autor: Robert Anton Wilson
Dezember 1975
Bundesgefängnis San Diego




Der Kampf um Patty Hearsts Bewusstsein ist symptomatisch für die weltweite Schlacht um Bewusstseinskontrolle.


„Mom, Dad – ich bin o.k. Ich habe ein paar Kratzer und so, aber sie haben sie saubergemacht, und es wird schon wieder … Ich habe gehört, dass Mom sich ziemlich aufgeregt hat und dass alle nach Hause gekommen sind, und ich hoffe, das hier wird euch beruhigen … Ich will hier raus, aber das geht nur, wenn wir alles so machen, wie sie es wollen … Ich will raus hier und euch alle wieder sehen und wieder mit Steve zusammensein.“


12. Februar 1974. Die Sprecherin ist Patty Hearst. Obwohl sie schon seit acht Tagen von den Guerillas der Symbionese Liberation Army festgehalten wird, klingt sie relativ normal, und das Tonband beruhigt ihre Eltern ein wenig.
Neunundvierzig Tage später veröffentlicht die S.L.A. ein zweites Band, und plötzlich sieht alles ganz anders aus. Das ist eine neue Stimme, die einer Fremden namens Tania, und ihre Worte klingen ziemlich feindselig:
„Ich bin mir darüber klar, dass deine und Moms Interessen nicht die des Volkes sind. Du, ein unverbesserlicher Lügner, wirst natürlich behaupten, dass du nicht weißt, wovon ich rede, aber das musst du erst mal beweisen. Sag den armen und unterdrückten Menschen dieser Nation, was der Staat mit ihnen vorhat. Erzähl den Schwarzen und Armen, dass man sie bis zum letzten Mann, Frau und Kind umbringen wird.“
Bei diesem Band liegt das berühmte Photo, auf dem Tania mit einer MP in der Hand, vor der siebenköpfigen Kobra der Symbionesen steht.
Randolph Hearst, Vater des Jahres und Topmanager einer riesigen Propagandamaschine und diverser Massenmedien, die während der letzten hundert Jahre dazu beigetragen haben, Millionen von Menschen zu domestizieren, tritt vor die TV-Kameras und sagt wenig überzeugend:
„Mit uns war sie zwanzig Jahre zusammen, mit ihnen nur sechzig Tage. Ich glaube nicht, dass sie ihre Philosophie so schnell und auf Dauer verändern wird.“
Zwei Wochen später wird Tania photografiert, als sie mit ihren neuen Kameraden eine Bank ausraubt. Auf dem dritten Band klingt sie noch entschlossener, nennt ihre Eltern, die sie hatten wiedersehen wollen, „Schweine“ und ihren Freund Steve Weed, zu dem sie hatte zurückkehren wollen, einen „Clown“ und ein „sexistisches Schwein“.
Tania überlebte und änderte ihre Meinung wieder, aber offensichtlich würde es nie wieder die Patty Hearst von damals sein.





Gehirnwäsche ist wie Malaria eine Krankheit des Ausgesetztseins. Die meisten Menschen, die malariaverseuchter Umgebung ausgesetzt werden, erkranken auch daran. Genauso werden die meisten Menschen Opfer einer Gehirnwäsche, wenn man sie einer entsprechenden Institution ausliefert.
Das Konzept einer „Wäsche“ ist natürlich unwissenschaftlich und primitiv. Das Gehirn ist kein schmutziges Hemd, sondern ein bio-elektrischer Computer – ein lebendes Netzwerk mit über hundertzehn Millionen Nervenzellen, die zu 10 2,783,000 Zwischenverbindungen fähig sind, eine Zahl, die grösser ist, als die Summe aller Atome im Universum. In diesem eleganten Mikro-Computer laufen in jeder Minute mehr als hundert Millionen Prozesse ab.
Das Gehirn und das Nervensystem sind – wie auch der menschliche Körper – vom genetischen Code entworfen und programmiert worden. Das menschliche Wesen ist wie alle anderen Lebensformen auch hauptsächlich ein „gigantischer Roboter, der von der DNS geschaffen wurde, um noch mehr DNS zu produzieren“, wie der Nobelpreisträger und Genetiker Hermann J. Muller bemerkte.
Wir alle sind neurogenetische Roboter. Und für christliche Theologen oder sentimentale Humanisten mag diese Erkenntnis vielleicht unangenehm sein, aber es gibt keine Flucht aus diesem Zustand, es sei denn, wir akzeptieren ihn als Tatsache. Nur dann können wir lernen, die Kontrolle über unsere Nervensysteme zu übernehmen und unsere individuellen Realitäten zu reprogrammieren.
Ein grundlegendes Beispiel für Gehirnprogrammierung, das uns hilft, Rusty, Squeaky, Patty und uns selbst zu verstehen, ist ein Giraffenbaby, dessen Mutter von Jägern erschossen wurde. Das Giraffenbaby wurde in Übereinstimmung mit seinem genetischen Programm vom ersten grossen sich bewegenden Objekt, das es sah, konditioniert: in diesem Fall vom Jeep des Jägers. Es lief dem teilnahmslosen Vehikel hinterher, versuchte mit ihm zu sprechen, an ihm zu saugen und schliesslich, sich mit ihm zu paaren. Die Überlebensinstinkte der kleinen Giraffe waren auf diesen Jeep fixiert.
Auch das menschliche Wesen fixiert sein neurales Equipment auf externe Objekte und kann durch sie konditioniert werden. Beim Menschen untergliedern sich diese Prägungen in vier Phasen:




1. Der Bio-Überlebens-Schaltkreis des Säuglings, der sich mit Sicherheit/Gefahr-Signalen im Hier und Jetzt befasst.

2. Der Schaltkreis des Kleinkindes (Krabbler), oder Ego, beschäftigt sich mit Bewegung und Gefühlen.

3. Der verbal-symbolische Schaltkreis des Erwachsenen, oder Mind, der sich mit Sprache und Wissen beschäftigt.

4. Der sozio-sexuelle Schaltkreis des Erwachsenen, oder Persönlichkeit, befasst sich mit domestiziertem Verhalten.





Diese vier Schaltkreise oder Gehirne werden in einem relativ einfachen mechanischen Prozess (Gehirnwäsche) nacheinander ausgebleicht und neu geprägt. Dieser Prozess ist einfach, weil die ursprüngliche Prägung dieser Schaltkreise auch relativ einfach war.
Der erste Schaltkreis oder das Bio-Überlebensgehirn wird bei der Geburt aktiviert. Seine Funktion besteht darin, Nahrung, Luft, Wärme und Bequemlichkeit zu suchen und alles, was giftig, rauh oder gefährlich ist, zu meiden. Der Bio-Überlebens-Schaltkreis des tierischen Nervensystems ist von der DNS darauf programmiert, eine schützende und sichere Zone in der Nähe eines mütterlichen Organismus zu suchen. Wenn keine Mutter vorhanden ist, wird der nächstliegende Ersatz in der Umgebung benutzt.
Die neugeborene Giraffe war auf einen vierrädrigen Jeep fixiert. In einer ethologischen Studie von Konrad Lorenz begnügte sich ein Gänschen mit einem weißen Ping-Pong-Ball, als es nirgendwo den runden, weissen Körper einer Gans fand, von dem es seine Prägung hätte erhalten können.
Während des gesamten menschlichen Lebens hören alle anderen geistigen Aktivitäten auf, sobald der Bio-Überlebens-Schaltkreis Gefahr signalisiert. Das ist bei der Gehirnprogrammierung von zentraler Bedeutung: Um eine neue Prägung zu schaffen, muss man das Objekt zunächst auf einen kindlichen Bewusstseinszustand, d.h. Schaltkreis-Verletzlichkeit, reduzieren.


Der erste Schritt bei diesem Prozess ist die Isolation des Opfers. Ein kleiner, dunkler Raum ist ideal, da die sozialen, emotionalen und geistigen Techniken, die vorher das Überleben sicherten, hier nicht mehr funktionieren. Je länger eine Person in solch einem Zustand isoliert wird, um so empfänglicher wird sie oder er für neue Prägungen. Wie Dr. John C. Lilly gezeigt hat, reichen ein paar Minuten totaler Isolation, um Angstgefühle auszulösen. Schon nach wenigen Stunden fangen Halluzinationen an, und das Opfer ist für neue, schützende und mütterliche Prägungen empfänglich.
Es ist kein Paradox, dass derjenige, der dem unwilligen Opfer die Gehirnwäsche aufzwingt, zur Prägung werden kann. Das Opfer wird von uralten Instinkten – biochemischen Programmen – gezwungen, eine Prägung zu suchen und sie mit jedem externen Objekt zu verdrahten, der dem mütterlichen Archetypus am nächsten kommt. Für einen menschlichen Gefangenen ist jedes zweibeinige Wesen, das ihm Nahrung bringt, gut genug.


Der zweite Schaltkreis, das emotionale Gehirn oder Ego, wird aktiviert, wenn das Kind anfängt, mit Muskelkraft zu krabbeln, zu laufen, die Schwerkraft zu beherrschen, physische Hindernisse zu überwinden und andere politisch zu manipulieren. Die Muskeln, die diese Funktionen ausführen werden, erhalten sehr schnell Prägungen, die zu lebenslangen Reflexen werden. Je nachdem, wie seine Umgebung ausfällt, schafft diese Prägung entweder ein starkes, dominantes oder schwaches, ängstliches Ego.
Der Status im Rudel oder im Stamm entsteht auf der Basis eines bewussten Impulssystems, in dem diese Muskelreflexe von entscheidender Bedeutung sind. Alle emotionalen Spiele oder Tricks, die in den populären Handbüchern von Dr. Eric Berne und anderen praktizierenden Analytikern aufgeführt werden, sind Prägungen des zweiten Schaltkreises und gehören zur Standardpolitik der Säugetiere.
Um bei einem Erwachsenen die Empfänglichkeit für Neuprägungen des zweiten Schaltkreises zu ermöglichen, muss man ihn dazu bringen, sich wie ein ungeschicktes Kleinkind zu fühlen. Der neurologische Monitor des Opfers muß deutlich auswerfen: „Ich bin dreissig Zentimeter groß, dumm, unfähig, eingeschüchtert und habe unrecht. Sie sind einsachtzig groß, allwissend, intelligent, mächtig und sie haben Recht.“
Hilflosigkeit lässt sich durch terroristische Taktiken zur Panik steigern. In Costa Gavras’ Film ‚The Confession’ holen die kommunistischen Gehirnwäscher das Opfer aus seiner Zelle, legen ihm eine Schlinge um den Hals und führen ihn an einen Ort, der so aussieht, als ob er dort gehängt werden soll. Manche afrikanischen Stämme nehmen die Initiations-Kandidaten und graben sie stundenlang lebendig ein.
Die größte Empfänglichkeit für Neuprägungen besteht dann, wenn das Opfer glaubt „Ich habe keine andere Wahl; sie können mit mir machen, was sie wollen.“


Der dritte Schaltkreis, oder Mind, wird aktiviert, wenn das Kind anfängt, Geräte zu benutzen und Fragen zu stellen. Er ist in den neun Kehlkopfmuskeln, die beim Sprechen benutzt werden und in einer neuralen Feedbackschleife zwischen der rechten Hand und der linken Grosshirnrinde lokalisiert, die gebraucht wird, um Objekte der Umgebung zu untersuchen, zu klassifizieren und umzuprogrammieren. Der gesamte Komplex von Forschung, Kunst und Wissen basiert auf dieser Grundlage.
Der schnellste Weg, um den dritten Schaltkreis neu zu prägen, ist, das Opfer von denjenigen zu trennen, die seine Sprache, Symbolik, und Ideologien teilen, indem man das Opfer in eine Situation bringt, wo seine normalen sprachlichen und körperlichen Fähigkeiten nicht funktionieren, und wo es neue Signale und Fähigkeiten lernen muss, um zu überleben. Es ist zum Beispiel eine bekannte Tatsache, dass man eine Fremdsprache am besten lernt, wenn man mit Leuten zusammen lebt, die nur diese Sprache sprechen: Man verbinde die Überlebensbedürfnisse des ersten Schaltkreises (Nahrung, Schutz) und die Statusbedürfnisse des zweiten Schaltkreises (Sicherheit, Anerkennung) mit der Notwendigkeit des dritten Schaltkreises, eine neue Sprache zu beherrschen.
Andererseits war der sprichwörtliche Engländer, der sich in seiner einsamen Tropenhütte jeden Abend zum Essen umzog, kein Dummkopf. Er baute ein englisches Luftschloss um sich herum, indem er ständig eine englische Realität bestätigte, um zu vermeiden, von der Realität der Eingeborenen überwältigt zu werden. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass man zum Kommunist wird, wenn man mit Kommunisten lebt, oder zum Verurteilten, wenn man mit Verurteilten lebt. Tatsächlich erfordert es feinfühliges, neurologisches Vorgehen, unter diesen Umständen sein Selbst zu bewahren.


Der vierte Schaltkreis, oder Persönlichkeit, wird im jugendlichen Alter aktiviert und geprägt, und zwar wenn das DNS-Signal den sexuellen Mechanismus auslöst. Der Teenager wird zum verlegenen Besitzer eines neuen Körpers und eines neuen neuralen Schaltkreises, der an Orgasmusfähigkeit und Verbindung von Sperma und Eizelle gebunden ist. Wie jeder andere Säuger, so taumelt auch der pubertierende Mensch in einem Zustand der Paarungsgier herum und jede Nervenzelle geifert nach dem begehrten Sexobjekt. Seine Prägungsempfänglichkeit ist jetzt am grössten, und die ersten sexuellen Abläufe, die das jugendliche Nervensystem antörnen, bleiben lebenslänglich unverändert bestehen und kennzeichnen für immer die sexuelle Realität des Individuums. Deswegen sollten wir über die zahlreichen Fetische, die man sich in dieser Phase aneignen kann, nicht überrascht sein. Tatsächlich können wir anhand des Umstandes, von welchen Fetischen ein Mensch immer wieder angetörnt wird, exakt feststellen, in welchem Zeitabschnitt er geprägt wurde: Schwarze Strapse, Schnaps, Cool-Jazz und Bürstenhaarschnitt kennzeichnen eine ganz bestimmte Prägungsgeneration, genau wie Schlafsäcke, Mick Jagger, Gras und enge Jeans eine andere.
Wenn Sinatra in Las Vegas singt, ignorieren die alten Fans seine Falten und das Doppelkinn, und ihre Nervenzellen überschlagen sich vor lauter Entzücken. Die jüngere Generation reagiert amüsiert und gelangweilt: „Was hat denn dieser alte Glatzkopf mit Sex zu tun?“ Keine Gruppe wird die Fetische einer anderen sexuellen Prägungsgruppe verstehen.


Es ist für den Gehirnwäscher wichtig zu erkennen, dass sexuelles Verhalten massgeblich von sozial-domestizierten Moralvorstellungen beeinflusst wird. Der Stamm belegt den Austausch von Sperma und Eizelle immer mit heftigen Drohungen und gewaltsamen Verboten – das geht so weit, dass viele Menschen nicht wissen, dass das Wort Moral sich auf irgend etwas anderes als auf sexuelle Tabus bezieht.
Überall und in jeder Gesellschaft wird das sexuelle Gehirn erbarmungslos domestiziert und zur Stammesproduktivität gezwungen. Gesellschaftlich gebilligte Orgasmen tendieren zu monogamer Fortpflanzung; lustorientierte Orgasmen werden missbilligt und die Ausführenden oft verfolgt.
Wenn der sexuelle Schaltkreis neu geprägt wird, lösen sich die häuslichen Bindungen, spaltet sich die domestizierte Persönlichkeit und ermöglicht das Entstehen neuer Bindungen an eine andere Subkultur und deren ketzerisches sexuelles Wertsystem. Eine derartige Neuprägung des erotischen Gehirns kann eine äusserst wirkungsvolle Technik der Gehirnwäsche sein, allerdings nur als Zusatz zum eigentlichen Ausbleiben des ersten und zweiten Schaltkreises, Sicherheit und Ego-Status. Hätte beispielsweise Cinque De Freeze Patty Hearst in der ersten Nacht ihrer Entführung vergewaltigt, hätte sie wahrscheinlich ziemlich sauer reagiert. Wenn das Opfer jedoch erst mal Biosicherheit, physische Unterstützung und Klärung der Gefühlsrealität erhalten hat, kann sexuelle Verführung ein neues erotisches Feld prägen.


Um die eigene Realitätsblase aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, sich der Zustimmung des Stammes zu versichern. Grösstenteils ist die menschliche Kommunikation auf peinliche Art primitiv und besteht aus endlosen Variationen von „Ich bin noch hier. Bist du noch da?“ (Bienenstock-Solidarität) und „Eigentlich hat sich nichts geändert“ (das übliche Bienenstock-Business). Isolation ist der erste Schritt der Gehirnwäsche, entfernt diese schützende Blase. Wenn das Opfer kein Feedback mehr bekommt – „Wir sind noch da; alles beim alten“ – verblassen die Prägungen allmählich. Wie Dr. Lilly erläutert, sind Forscher und schiffbrüchige Matrosen, die längere Isolation überlebt haben, nach ihrer Rettung extrem schüchtern. Sie haben – manchmal wochenlang – buchstäblich Angst vor menschlicher Konversation, weil sie wissen, dass das, was sie sagen, für einen normalen, domestizierten Erwachsenen verrückt klingen könnte. Ihre Prägungen sind verblasst, und sie befinden sich in der unkonditionierten, freischwebenden Welt der Yogis oder der Mystiker. Es wird mindestens ein paar Tage in Anspruch nehmen, ihre soziale Welt neu zu prägen.
Ähnliche Prägungs-Empfänglichkeit und Rückkehr ins Säuglingsalter kommen bei vielen Fällen von längerem Krankenhausaufenthalt vor, eine rätselhafte Tatsache, die von vielen Medizinern gar nicht erkannt wird. Einige Patienten werden durch Gehirnwäsche buchstäblich so weit gebracht, ihr Leben lang als Invalide herumzulaufen – ein klassischer Fall von Hilflosigkeit des zweiten Schaltkreises. Und dann beschuldigt das Personal sie auch noch, Simulanten zu sein, womit die Schuld der inkompetenten Mediziner einfach auf das hilflose Opfer abgewälzt wird.


Das Nervensystem hat die Funktion, aus unendlich vielen Möglichkeiten die biochemischen Prägungen auszusondern, welche die Taktiken und Strategien des Überlebens an einem Ort und den Status in einem Stamm sichern, zu bündeln und zu wählen. Der Säugling ist genetisch darauf vorbereitet, jede Sprache zu lernen, jede Aufgabe zu meistern und jede sexuelle Rolle zu übernehmen, innerhalb kürzester Zeit wird er jedoch unnachgiebig darauf gedrillt, die begrenzten Angebote seiner sozialen und kulturellen Umgebung anzuerkennen, zu befolgen und nachzuahmen.
Bei diesem Prozess zahlt jeder einzelne von uns einen hohen Preis. Überleben und Status heisst, die unendlichen Möglichkeiten des unkonditionierten Bewusstseins verfallen zu lassen. Die domestizierte Persönlichkeit der sozialen Realität ist nur ein belangloser Bruchteil des natürlichen Erlebnis- und Intelligenzpotentials eines menschlichen Hundertzehn-Milliarden-Zellen-Biocomputers. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes unserer Sinne beraubt und leben nur wenig bewusster als jedes beliebige Herdentier.
Folglich ist auch die Arbeit des Gehirnwäschers leicht, sie besteht lediglich darin, einen Satz von Roboter-Schaltkreisen gegen einen anderen auszutauschen. Sobald das Opfer Bio-Sicherheit und Ego-Unterstützung bekommt, genau wie ein Säugling von seinen Eltern, sind die Nervenzellen empfänglich für jede beliebige Ideologie des dritten Schaltkreises.
Da wir alle von unseren eigenen sozialen Realitäten geprägt sind, fällt es im allgemeinen gar nicht auf, dass jedes menschliche Realitätsmodell – egal wie exzentrisch und paranoid es sein mag – im Grunde genauso sinnvoll ist wie jedes andere. Aus den gleichen Gründen wie es Vegetarier, Nudisten, Kommunisten oder Schlangenanbeter gibt, gibt es Katholiken, Republikaner, Liberale oder Nazis.



Aus:
Timothy Leary, Neuropolitik. Die Soziobiologie der menschlichen Metamorphose, Sphinx Verlag Basel 1981

Statt vielen Netzmüll-Links:
Timothy Leary, Der Nachruf eines Verlegers

13
Apr
2006

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