31
Jul
2007

Frau und "falsche Schlange" -

von der Wirkmacht eines Symbols


Der Kampf zwischen Vogel und Schlange, Himmel und Erde, Oben und Unten wird im Vorderen Orient (und schließlich weltweit) immer mehr zu einem Kampf zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, wobei das Weibliche zunehmend und ausnehmend mit der Symbolik des »Unten« - Erde, Dunkel, Chaos, Tod - und das Männliche mit der Symbolik des »Oben« - Himmel, Sonne, Licht und Leben - identifiziert wird. Eine überaus willkürliche und keineswegs zwingende Trennung, wie aus dem Vorangegangenen deutlich geworden dürfte. Das Männliche stilisiert sich in diesem Vorgang zum solaren, freigeistigen, hellen (hell auch im Sinne von intelligent) Prinzip, das vom weiblich-lunaren, erdenschwer-verschlingenden an seinem »Höhenflug« gehindert wird. Woraus das Männliche sein Recht ableitet, das Weibliche zu bekämpfen und zu unterdrücken, als hätte letzteres nicht ein genau gleiches Recht auf Entfaltung und Verwirklichung seiner selbst.




Inanna, eine der ältesten Göttinnen unseres Kulturraumes, war immerhin noch Königin von Himmel und Erde (und Unterwelt), Hera oder Demeter dagegen sind »nur« noch Erdgöttinnen. Die mesopotamische Göttin der Liebe war auch Göttin des Kampfes, Aphrodite/Venus ist »nur« noch Liebesgöttin, wohingegen Ares/Mars den Kampfaspekt übernimmt. Immerhin bleibt Aphrodite zunächst noch Göttin von Unterwelt, Tod und Erlösung. Schamaninnen wie Medea werden, gerade weil von ihnen Glück, Leben und Lebendigkeit abfingt, verteufelt. Wer sich zur Freiheit der Lüfte erhebt, will nicht mehr an seine erdgebundene Abhängigkeit erinnert werden. Wenn er sie schon nicht ändern kann, dann will er sie wenigstens verachten dürfen. Und dieses »er« ist hier wörtlich zu nehmen. Denn »sie« soll nun »unten« bleiben. Der klassische Kampf der Lilith, deren Wunsch, auch ab und zu die »obere« Position einnehmen zu dürfen, unerhört bleibt (in des Wortes doppelsinniger Bedeutung). Adam will sie »unten« und sich selbst »oben drüber« sehen und erhält von seinem Schöpfer in dieser Weltsicht Unterstützung.
»Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Schlange«, ein Urteil, das die Schlange ins Mark trifft. Ein Satz, der aus einem Wesen mit Lebenssprüchen ein verderbeneinflüsterndes Ungeheuer macht; und aus der Frau gleich mit dazu. Sie findet sich mit der nun »falschen Schlange« am selben Baum wieder, und dieser Baum spendet nicht mehr die Früchte der Unsterblichkeit und Verjüngung, sondern Früchte von Tod und Verderben. Wer von den Früchten dieses Baumes isst, wird nicht mehr jung und lebendig, sondern stirbt.




Man könnte auch sagen, dass das Wissen um die verwandelnde Kraft des Todes in Vergessenheit gerät. Vom Tod, der früher selbst Erlösung und Verwandlung in ein neues Leben bedeutete, muss fortan erlöst werden. Wer von den Früchten dieses neuen »Baumes der Erkenntnis« gegessen hat, versteht, dass diese Welt kein Paradies ist, und das lässt Wut, Enttäuschung und Trauer zurück - und das Bestreben, diese Welt, als »Durchgangsstation« zu einem angeblich besseren Leben, so bald als möglich hinter sich zu lassen. Wer das Paradies im Jenseits sucht, wird das Hier und Jetzt vernachlässigen und zuletzt »verteufeln«. Die Erde wird zum »Jammertal«, die Einheit von Tod und Leben, Gut und Böse, die von der Schlange versinnbildlicht wurde, auseinander gerissen. Die Frau, die mit dieser »Erde« symbolisch gleichgesetzt wird, hat bald selbst als »Mutter des Lebens« ausgedient. Wie die Schlange wird sie zur Todesbotin. Dass sie Leben schenken kann, wird ihr in einer Welt verübelt werden, in der zunehmend darüber fantasiert wird, dass es besser wäre, überhaupt nicht geboren zu sein. Unser leitender Hintergrundmythos aber wurde, psychologisch gesehen (worauf als erster C. G. Jung und die Vertreter/innen seiner Schule hinwiesen) der Kampf gegen den Drachen und das, wofür er auf der Symbol-Ebene stand: die Erde und das Weibliche, Grab und Geburtskanal zugleich. Unter diesem Aspekt müssten uns die vielen Drachentötergestalten auf unseren Dorfbrunnen eigentlich beunruhigen.




Dass man die Schlange, losgelöst von unserer kulturellen Voreingenommenheit, auch in einen ganz anderen Kontext stellen kann, möchte ich an einem abfließenden Beispiel veranschaulichen: Bei den Ojibway in Kanada ist die (Klapper-)Schlange ein Vorbild für unerschöpfliche Geduld. Auf ihr Verhalten fällt nicht einmal der Schatten einer bösen Absicht.


Die Schlange, so erklären die Ojibway, war bei der Schöpfung eher benachteiligt worden: keine Arme, keine Beine, keine Flügel. Mit derart geringen körperlichen Hilfsmitteln ausgestattet, wurde sie vom Schöpfer dennoch zur Hüterin der Felder, Wiesen und Grünpflanzen bestimmt. Und im Gegensatz zu anderen Tieren (wie etwa dem Vielfraß), die sich beim Großen Geist lauthals über ihr Aussehen beschwerten, ertrug sie ihr Geschick klaglos. Heiter und zufrieden machte sie das Beste aus ihren allerschwächsten Kräften und schützte die Pflanzen, so gut sie es vermochte. Nur mit den gierigen Kaninchen, die unterschiedslos alles fraßen, was ihnen an Grünzeug zwischen die Zähne geriet, kam sie beim besten Willen nicht zurande. Die Kaninchen fraßen sämtliche Blätter, Stiele, Blüten und meist auch noch die Wurzeln aller Pflanzen, die Rinde der jungen Baumtriebe knabberten sie ab. Wo sie sich niederließen, wuchs buchstäblich kein Gras mehr. Die Schlangen aber waren zu schwach, um sich gegen die Kaninchen zur Wehr zu setzen, im Gegenteil machten sich die Kaninchen einen Spaß daraus, die Schlange zu tyrannisieren. Sie zogen sie am Schwanz, setzen sich auf sie, zogen und zerrten sie über den Boden und warfen sie sogar hoch in die Luft, sodass sie blutend auf der Erde aufschlugen. Alle Versuche der Schlangen, sich mit den Kaninchen zu einigen, waren vergebens. Schließlich entschlossen sie sich, den großen Geist um Hilfe zu bitten, weil sie sich außerstande sahen, die ihnen bei der Schöpfung zugeteilte Aufgabe weiter zu erfüllen.




Und der Große Geist hatte Mitleid mit den bedauernswerten Schlangen. So gab er den einen Gift, den anderen die Fähigkeit, ihre Angreifer/innen zu ersticken. Wobei er sie zugleich warnte, diese ihre neue Macht nur im äußersten Notfall zu gebrauchen und es zuerst mit Drohungen zu versuchen (wozu die Klapperschlange natürlich die beste aller Ausstattungen erhielt). Die Schlangen, so scheint es, haben sich daran gehalten. Nachdem die Kaninchen sie auch weiterhin und trotz aller Warnungen zum Spielball ihres Übermuts machen wollten, ließen sie ihren Giftzahn antworten, der auf der Stelle einen der Angreifer tötete. Seine Genoss/inn/en wurden dadurch wirksam in die Flucht geschlagen. Die Schlangen aber, die sich nun endlich gebührenden Respekt verschaffen konnten, sorgten weiterhin aufopferungsvoll für den Schutz der Felder und sicherten damit letztlich allen Wesen das Leben: Pflanzen, Tieren und Menschen.




Den Ojibway erscheint die (Klapper-)Schlange bis heute als Sinnbild der unerschöpflichen Geduld. Sie haben sie in den Kreis ihrer Tier-Totem-Symbole aufgenommen und verehren sie als große Lehrerin für all jene, die lernen wollen, sich in Geduld zu fassen. (vgl. Basil Johnston, S. 47-49; 53) Hier, wie auch bei vielen anderen Völkern des Erdkreises ist die Schlange wieder, was sie zu allen Zeiten und Zonen vorrangig war: Symbol für die Heiligkeit des Lebens und den Ausgleich der Kräfte im Universum.



Aus:
Barbara Stamer, Vera Zingsem, Schlangenfrau und Chaosdrache in Märchen, Mythen und Kunst, Kreuz Verlag Stuttgart 2001


Keywords:
C.G. Jung, Gendercoaching, Gender coaching, Gender-Coaching, Genius, Individualität, Individuum, Kollektiv, Kollektivität, Kreativität, Psychologie, Psychotherapie, Synchronizität, TherapieHera, Inanna, Lilith, Medea, Drache, Schlange, Venus

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