16
Mrz
2006

Anno 1960

"Gar keine Frage," meinte der Endokrinologe. "Wir alle wissen, daß ein auf diesen Forschungsbereich angesetztes Team hochqualifizierter Psychopharmakologen bereits nach dem ersten Jahr mit einem Aphrodisiakum auf den Markt kommen könnte. Das wird auch passieren. Irgendwanneinmal wird irgendjemand dafür den Nobelpreis bekommen und eine Milliarde Dollar an der Vermarktung verdienen. Aber wir befinden uns erst im Jahr 1960. Eisenhower ist Präsident, und Chruschtschow Premierminister. Und es gibt ein Überbevölkerungsproblem. Unsere Kultur ist noch nicht reif für eine Medizin, nach deren Einnahme der männliche Teil der Bevölkerung mit aus den Hosenschlitzen quellenden steifen Schwänzen herumrennt. Lieber Gott, wir bringen gerade mal einen wirksamen Impfstoff gegen die Kinderlähmung heraus. Schau in zwanzig Jahren nochmal vorbei - vielleicht haben wir dann eine nette kleine Spritze, mit der sich eine Erektion herbeizaubern lässt."

Es gab gar keinen Zweifel mehr. Hier stand ein soziales Tabu gegen die Idee, mittels einer Pille dem Mann zu einer ebenso beruhigenden, wie sicheren Kontrolle über seine wertvolle Geschlechtsausstattung zu verhelfen. Ich konnte das einfach nicht verstehen. Wenn Ihr Auto sich dazu entschließt, nur dann zu fahren, wenn es will, dann werden Sie es sofort in die Werkstatt bringen. Bewiese Ihr Fernseher ein eigenes Temperament und schaltete sich von selbst ab, dann würden Sie entsprechende Schritte unternehmen, die Sie wieder zum Herrn der Lage machten.

Dieser innere Widerstand gegen eine Verbesserung der eigenen Lebensumstände trat offen zutage, als ich auf eine Sex-Show im Hamburger Reeperbahnviertel mitgenommen wurde. Meine Gastgeber waren ein sehr welterfahrener Herausgeber des SPIEGEL (das deutsche TIME-Magazin) und ein bekannter Psychiater. Die Show faszinierte mich wirklich. Echtes Ficken auf der Bühne! Am meisten beeindruckte mich ein großgewachsener junger Schwede, der da mit seinem enormen Ständer herumsprang und zunächste eine feurige Rothaarige vögelte, die ihre Beine um ihn legte, dann eine schwüle Brünette, die ihn mit offenen Armen auf dem Sofa empfing und schließlich eine saftige Blondine beglückte, die ihm den wackelnden Hintern entgegenstreckte und sich dabei mit dem Kopf an der Wand abstützte.

Gerade zwanzig Minuten bumste dieser junge Akrobat in absoluter Selbstbeherrschung durch die Gegend - vor einem 200-köpfigen Publikum! Das sah ganz nach olympischem Gold aus!
"Der Kerl hat aber ein beeindruckendes Durchhaltevermögen," bemerkte ich zu meinem Gastgeber gewandt. Sie lachten spöttisch in ihrer etwas übersättigten und überheblichen Hamburger Art.
"Das ist aber nicht echt," sagte der Verleger. "Er hat irgend so eine Droge genommen."
Der Psychiater signalisierte mit einer verächtlichen Handbewegung seine Zustimmung.
Ich sprang auf. "Was für eine Droge?" rief ich. "Wie heißt sie denn? Wo kann man sie herbekommen?"
Keine Antwort von meinen deutschen Freunden. Sie konnten einfach nicht zugeben, daß sie selber daran interessiert gewesen wären.



Timothy Leary: Auf der Suche nach dem wahren Aphrodisiakum, in:
Katja Wille, Geil! Erotik und Drogen, Edition Rauschkunde, Verlegt durch Werner Pieper & The Grüne Kraft
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