9
Aug
2007

Der Gehörnte Gott

Der Gehörnte Gott ist fast so alt wie die Große Erdmutter. Er ist der Gott der Natur, der Herr der Wälder und der Tiere. Er tanzt auf den Wänden der prähistorischen Höhlen von Lascaux, teils Mensch, teils Hirsch. Umgeben von den Tieren, von denen das Leben ebenso abhing wie von den Pflanzen der Erde, ist er der Gott ihrer Lebenskraft. Seine Gestalt, als Gott oder Schamane, ist auf die Wände dieser tiefen Höhlen gemalt, denn er ist auch eine Kraft der Fruchtbarkeit, die die große Mutter Erde befruchtet, aus welcher die Tiere geboren werden. Gehörnte Götter sind Götter von tierischer Kraft, der Sexualität und der Stärke, der Freiheit und der Instinkte, der Wildheit und des Körperlichen (diese Quellen verkörpern sie auf eine Weise, wie man sie beim Grünen Mann und dem Sonnengott nicht findet).
Wenn Sie die Bekanntschaft dieser mächtigen Kraft machen, kann alles nur Erdenkliche geschehen, denn der Gehörnte ist eine Macht, die man invoziert, um die angenehmste Magie von allen auszuüben. Der Gehörnte Gott drückt die Heiligkeit der Erde aus, die Gegenwart der göttlichen Männlichkeit in der Welt. Er ist der Hirsch oder der Gott mit dem Geweih, der bei den Kelten und Briten Herne oder Cernunnos hieß; und er wird als Stier dargestellt bei den Griechen, den Römern und Ägyptern: als Dionysos (und als Minotauros); als Poseidon, Neptun, Apis und Osiris. Und er ist zugleich der geile bocksfüßige Gott und Pan, den man in der ganzen vorchristlichen Welt kannte und der in Wirklichkeit keinerlei Ähnlichkeit mit dem biblischen Dämon Satan besitzt – sein ziegenhaftes Bild wurde lediglich von der Kirche missbraucht, um den Satan darzustellen, was dazu diente, den heidnischen Gott zu dämonisieren.



Wie die Göttin vereint auch er die Gegensätze –denn er ist sowohl der Jäger wie die Beute. Er ist die Erinnerung daran, dass auch wir Teil des Lebenskreislaufs sind und dass wir zwar Tiere jagen und töten, selbst aber ebenso zu ihrer Beute werden, wie wir ja auch die Beute der Götter sind. Der Gehörnte Gott ist die Kraft, die uns mit unseren tierischen Geschwistern vereint und uns an unsere Verpflichtungen ihnen gegenüber gemahnt, so wie sie ihre Verpflichtung gegenüber uns wahrnehmen, indem sie ihr Leben aufopfern, damit unseres weitergeht. Seine Form, teils Mensch, teils gehörntes Tier – ob Stier oder Hirsch oder Ziegenbock – erinnert uns daran, dass auch wir teilweise tierischer Natur sind.
Und in diesem tierischen Aspekt, das wissen alle Schamanen, liegt eine göttliche Weisheit, Macht und Magie, ohne die Sie selbst als Hexe nicht leben können, und ohne die wir als Gattung nicht überleben werden.
Jeder Schamane arbeitet mit Geistführern und Krafttieren, die ihn auf seinen Reisen zwischen den Welten leiten. Tiere verfügen über profunde spirituelle Weisheit und werden ihr Wissen um das Ausüben der Magie mit uns teilen, wenn wir unsererseits nur lernen zu fragen und aufzupassen.



Der Gehörnte Gott ist auch die Macht unserer Instinkte, unsere Fähigkeit, Gefahr zu ‚riechen’, um sofort alles über eine Situation oder eine Person zu wissen, was wir brauchen. Der Gehörnte Gott ist wöchentlich bei meinem Mann präsent, wenn er spätnachts von New York nach Long Island fährt. Seine Instinkte sind schier unheimlich geworden, und er kann die Anwesenheit eines Verkehrspolizisten, der mit seiner Radarpistole in einem Streifenwagen sitzt, schon meilenweit vorher spüren.
Und der Gehörnte Gott ist auch die Macht leidenschaftlicher Sexualität, die uns inspiriert und antreibt, wenn wir im Rausch der Leidenschaft immer tierhafter werden. Die Welt ist voller Magie, aber wir brauchen unser tierisches Selbst, um sie zu spüren und zu genießen. Der Gehörnte Gott ist Ihr Führer. Rufen Sie ihn an, und erfüllen Sie ihren Weg mit seiner Magie.



(Praktik für Fortgeschrittene) …



Der Gott als Kriegerkönig

Der einzige Gott, dem man ein Schwert anvertrauen darf, ist ein Gott, der auch tanzen kann, denn nur einem Gott, der das Leben liebt, darf man die Macht über den Tod anvertrauen. In den Ritualen, die ich einst lernte, gibt es einen besonders machtvollen Punkt, da nämlich der Gott sein Schwert zu Füßen der Göttin niederlegt. Was hat das zu bedeuten? Es bedeutet, dass der Tod – als Krieger, als Jäger, als Zeit, als Teil des Energiekreislaufs im Universum – dem Leben dient. Die Macht des Kriegers dient keinen Drogenbaronen, umweltverschmutzenden Multis, machtpolitischen Feldzügen und auch korrupten Politikern. Sie dient nicht der Habgier, dem Terror, der Unterdrückung, der Frauenfeindlichkeit, der Tyrannei, der Gewaltlust und auch nicht dem chauvinistischen Patriotismus. Sie dient allein dem Leben. Der Gott als Krieger schützt und verteidigt, als Jäger ernährt er, vor allem aber verehrt er das Leben. Deshalb umschließt ihn die Göttin, worauf der Gott zu einem Gott der Liebe wird, dessen Gabe die Macht der Wiedergeburt ist.



Aus:
Phyllis Curott,
Spirituelle Magie. Die hohe Kunst der Heiler und Hexen, Wilhelm Heyne Verlag, München 2005

Keywords:
Apis, Cernunnos, Dämon, Dionysos, Energiekreislauf, Gender, Gendercoaching, Gender Coaching, Gender-Coaching, Gehörnte Geistführer, Gott, Göttin, Grüner Mann, Herne, Hexe, Heiler, Heilerin, Hirsch, Jäger, Krafttier, Krieger, Instinkt, Magie, Minotauros, Neptun, Osiris, Pan, Poseidon, Satan, Schamane, Schamanin, Schwert, Sex, Sexualität, Sonnengott, Stier, Tod, Ziegenbock

8
Aug
2007

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KommodeMeerestiere1a


Kommode Meerestiere 1a

3
Aug
2007

Der Garten der Medea

Medea ist das Urbild der abendländischen Hexe. Sie ist schön, sinnlich und verführerisch. Sie kann sich mit geheimnisvollen Salben alt und hässlich machen oder andere verzaubern. Sie hat die Sehergabe, kennt die Kräfte der Gifte und Wirkungen der Kräuter, sie ist die Barbarin aus einem fremden Land. Sie ist bewandert in der geheimen Kunst, sie kennt den Lauf der Gestirne und wird als Priesterin der Artemis tätig. Sie steht unter dem Schutz der Titanin und Erdgöttin Themis und Artemis, die von ihr als ‚Erhabene’ angerufen werden. Themis war nach ihrer Mutter Gaia die zweite Orakelgöttin von Delphi, bevor das Heiligtum von Apollon annektiert wurde. (Ovid, Metamorphosen I, 320 f). Themis, „die die Eide wahrt“, war als Tochter der Erdgöttin entweder mit Python, die ebenfalls von Gaia geboren worden war, identisch, oder eine Schwester des Drachens mit „giftigem Bauche“ (ebd. 459). Als Helferin und Schutzgöttin hat sich Medea die Göttin Hekate/Trivia erkoren, die in ihres „Herdes Grund“ wohnt (Euripides, Medea 399; Seneca, Medea 785). Es heißt bei Seneca, dass Prometheus einer ihrer Lehrer gewesen ist (Medea 820 ff.).



Medea kann auf einem Wagen mit Drachengespann durch die Lüfte fahren oder auf Schlangen durch den Äther reiten. Sie kann mit Räucherwerk beschwören, das Wunder der Verjüngung erwirken und Illusionen erschaffen. Sie kennt die Heilkunst genau wie den Schadenzauber. Was sie zum Urbild macht, ist vor allem ihr Kessel, in dem sie die Gebräue für ihre Zaubereien kocht. Seneca beschreibt in seinem Drama ‚Medea’ wie die Zauberin ihren Trunk bereitet. Eine Hauptingredienz sind Schlangen und ‚jegliches Gewürm’. Der Dichter nennt auch eine Reihe von – kaum identifizierbaren Zauberpflanzen aus Medeas Hexenbotanik:



„Nachdem sie Schlangen beschworen jeder Art,
wirft sie in eins, was an verwunschenen Kräutern sprießt,
was auf den Kuppen, die der ewige Schnee bedeckt,
feucht von Prometheus’ Blut der Kaukasus erzeugt [Ferula communis] ,
der reiche Araber an seine Pfeile streicht [Aconitum spp.],
was flinke Parther, Meder, bogenkampferprobt
was edle Suebenfrauen unterm kalten Pol
an Säften lesen im herkynischen Wald,
was auch im nestbaufreudigen Lenz die Erde schafft
und was in tiefen Winters Kälte, wenn der Wald
den Schmuck schon abwarf, alles starr in Schnee und Eis,
an Kräutern, todesschwanger blühend, grünt [Helleborus niger],
was in gewundner Wurzel grauenvoller Saft [Mandragora]
an giftiger Wirkung zeugt, all dies nimmt sie zur Hand.
Haemoniens Athos steuert jenes Giftkraut bei,
der riesige Pindus dies, auf des Pangǽum Höhn
ließ unter blutiger Sichel dies das zarte Blatt.“

(Seneca, Medea 705 – 722)



Medea ist noch ganz die Schamanin, die sich gründlich in Botanik, Heilkunst und Magie (Zaubergesänge) auskennt. Sie ist noch nicht die ‚böse Hexe’ späterer Epochen. Sie setzt ihr Wissen und Können zum Schutz und Heil ihrer Freunde und Verbündeten, aber auch zum Schaden und Untergang ihrer Feinde ein. Wer sie fürchtet, der fürchtet sie zu Recht. Sie ist je nach Bedarf und Zweck Heilerin und Schadenszauberin zugleich. Sie hat – wenn sie will – den ‚bösen Blick’ (Apollonios IV, 1670 f.). Bei Euripides wird sie als ‚Löwin’ angesprochen (Medea 1316); möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Medea sich als gute Schamanin in eine Katze verwandeln konnte. Bei ihren Beschwörungen entblößt sie die Brüste, flicht sie lebende Schlangen ins Haar und hält je eine Schlange in jeder Hand (Seneca, Medea). Sie gleicht also ganz der minoischen Schlangengöttin von Kreta. Später wurde sie unsterblich und regierte als Hexenkönigin und Braut des Achilles die elysischen Gefilde (Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. Rowohlt Reinbek 1984, S. 577)
Mit ihrer Schönheit – Hesiod nannte sie die ‚schönfüßige Medea’ oder ‚Schönäugige’ -, Erotik und Zauberkunst hat sie schon die alten Dichter fasziniert, aber auch mit Angst und Schrecken erregt. Euripides hat ihr eine ganze Tragödie gewidmet. Auch Ovid, der üppig einige von Medeas Taten in den Metamorphosen beschreibt, hat ebenfalls eine Tragödie namens Medea verfasst, von der allerdings nur ein Vers erhalten geblieben ist (Christine Binroth-Bank, Medea in den Metamorphosen Ovids, Peter Lang (Europäische Hochschulschriften, Bd. 62), Frankfurt/M. 1994 und Theodor Heinze (Hg.), P. Ovidius Naso – Der XXI. Heroidenbrief. Medea an Jason, Mit einer Beilage: Die Fragmente der Tragödoie Medea, Brill Leiden 1997). Euripides’ Dichtung wurde zur Vorlage für zahlreiche Medea-Bearbeitungen in der Weltliteratur. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden mehrere Opern, die sich der kolchischen Zauberin annahmen. Die Anziehungskraft der Medea strahlt bis heute. So ist sie etwa in der modernen Frauenliteratur zu einem Sujet geworden. Nicht ohne Grund fordert Ursula Haas einen Freispruch für Medea (1991), den Rolf Liebermann jüngst als Oper vertont hat (1995).



Medea, die blonde ‚Kolchierin’ mit ‚göttergleichem’ Haupt, stammt aus Kolchis, einem Land, das von ‚schwarzgesichtigen’ Barbaren bevölkert war. (Apollonios III, 828ff.). Ihr Großvater war Helios , der große Demiurg, der das orphische Welten-Ei ausbrütet (vgl. Robert von Ranke-Graves, Die Weiße Göttin: Sprache des Mythos, Rowohlt, Reinbek 1985); diese Abstammung wird bereits von Hesiod berichtet! Medea, Kirke und Hekate gehören zum Stamm des Helios/Sol : das heißt die Hexen sind Kinder der Sonne! Medea gebar nach Hesiod aus der Verbindung mit Jason, dem Argonauten, einen Sohn namens Medeios, „den in den Bergen Cheiron aufzog“ (Theogonie, 1001). Das heißt, der Nachfahre der zauberkundigen Mutter wurde von Geburt an von dem schamanischen Kentauren Cheiron, der auch den Herakles erzogen hatte, in der Heilkunst ausgebildet.



„Nacht, Vertrauteste du der heimlichen Dinge;
Ihr Sterne, die ihr der tragenden Glut nachfolgt mit der goldenen Luna;
Du, Hekate mit dreifachem Kopf, du weißt, was jetzt anhebt:
komm doch und hilf mir mit murmelndem Spruch und kunstvollem Zauber.
Und du, Erde, du gibst den Hexen die mächtigen Kräuter.
Lüftchen und Winde und Berge, ihr Flüsse all und ihr Teiche,
Göttin der Haine, herbei!
O helft mir , ihr Götter der Nächte.“

(Ovid, Metamorphosen VII, 192)



Aus:
Claudia Müller-Ebeling/Christian Rätsch, Wolf-Dieter Storl, Hexenmedizin. Die Wiederentdeckung einer verbotenen Heilkunst – schamanische Traditionen in Europa, AT-Verlag Aarau/Schweiz, 1998


Medea Stimmen


Keywords:
Achilles, Argonauten, Artemis, Botanik, Cheiron, Delphi, Demiurg, Drachen, Erotik, Euripides, Gaia, Gender, Gendercoaching, Gender-Coaching, Gender Coaching, Göttin, Heilerin, Heilkunst, Hekate, Helios, Herakles, Hesiod, Hexe, Hexenbotanik, Hexenmedizin, Hexenkönigin, Jason, Katze, Kentaur, Kirke, Kolchis, Kräuter, Löwin, Magie, Mandragora, Medea, Medeios, Nachtschattengewächs, Orakel, Orakelgöttin, Ovid, Priesterin, Prometheus, Python, Räucherwerk, Schamanismus, Schamanin, Schlange, Schlangengöttin, Seneca, Titanin, Themis, Trivia, Zauberin, Zentaur

31
Jul
2007

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HolzfigurMuttermitKind1

Frau und "falsche Schlange" -

von der Wirkmacht eines Symbols


Der Kampf zwischen Vogel und Schlange, Himmel und Erde, Oben und Unten wird im Vorderen Orient (und schließlich weltweit) immer mehr zu einem Kampf zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, wobei das Weibliche zunehmend und ausnehmend mit der Symbolik des »Unten« - Erde, Dunkel, Chaos, Tod - und das Männliche mit der Symbolik des »Oben« - Himmel, Sonne, Licht und Leben - identifiziert wird. Eine überaus willkürliche und keineswegs zwingende Trennung, wie aus dem Vorangegangenen deutlich geworden dürfte. Das Männliche stilisiert sich in diesem Vorgang zum solaren, freigeistigen, hellen (hell auch im Sinne von intelligent) Prinzip, das vom weiblich-lunaren, erdenschwer-verschlingenden an seinem »Höhenflug« gehindert wird. Woraus das Männliche sein Recht ableitet, das Weibliche zu bekämpfen und zu unterdrücken, als hätte letzteres nicht ein genau gleiches Recht auf Entfaltung und Verwirklichung seiner selbst.




Inanna, eine der ältesten Göttinnen unseres Kulturraumes, war immerhin noch Königin von Himmel und Erde (und Unterwelt), Hera oder Demeter dagegen sind »nur« noch Erdgöttinnen. Die mesopotamische Göttin der Liebe war auch Göttin des Kampfes, Aphrodite/Venus ist »nur« noch Liebesgöttin, wohingegen Ares/Mars den Kampfaspekt übernimmt. Immerhin bleibt Aphrodite zunächst noch Göttin von Unterwelt, Tod und Erlösung. Schamaninnen wie Medea werden, gerade weil von ihnen Glück, Leben und Lebendigkeit abfingt, verteufelt. Wer sich zur Freiheit der Lüfte erhebt, will nicht mehr an seine erdgebundene Abhängigkeit erinnert werden. Wenn er sie schon nicht ändern kann, dann will er sie wenigstens verachten dürfen. Und dieses »er« ist hier wörtlich zu nehmen. Denn »sie« soll nun »unten« bleiben. Der klassische Kampf der Lilith, deren Wunsch, auch ab und zu die »obere« Position einnehmen zu dürfen, unerhört bleibt (in des Wortes doppelsinniger Bedeutung). Adam will sie »unten« und sich selbst »oben drüber« sehen und erhält von seinem Schöpfer in dieser Weltsicht Unterstützung.
»Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Schlange«, ein Urteil, das die Schlange ins Mark trifft. Ein Satz, der aus einem Wesen mit Lebenssprüchen ein verderbeneinflüsterndes Ungeheuer macht; und aus der Frau gleich mit dazu. Sie findet sich mit der nun »falschen Schlange« am selben Baum wieder, und dieser Baum spendet nicht mehr die Früchte der Unsterblichkeit und Verjüngung, sondern Früchte von Tod und Verderben. Wer von den Früchten dieses Baumes isst, wird nicht mehr jung und lebendig, sondern stirbt.




Man könnte auch sagen, dass das Wissen um die verwandelnde Kraft des Todes in Vergessenheit gerät. Vom Tod, der früher selbst Erlösung und Verwandlung in ein neues Leben bedeutete, muss fortan erlöst werden. Wer von den Früchten dieses neuen »Baumes der Erkenntnis« gegessen hat, versteht, dass diese Welt kein Paradies ist, und das lässt Wut, Enttäuschung und Trauer zurück - und das Bestreben, diese Welt, als »Durchgangsstation« zu einem angeblich besseren Leben, so bald als möglich hinter sich zu lassen. Wer das Paradies im Jenseits sucht, wird das Hier und Jetzt vernachlässigen und zuletzt »verteufeln«. Die Erde wird zum »Jammertal«, die Einheit von Tod und Leben, Gut und Böse, die von der Schlange versinnbildlicht wurde, auseinander gerissen. Die Frau, die mit dieser »Erde« symbolisch gleichgesetzt wird, hat bald selbst als »Mutter des Lebens« ausgedient. Wie die Schlange wird sie zur Todesbotin. Dass sie Leben schenken kann, wird ihr in einer Welt verübelt werden, in der zunehmend darüber fantasiert wird, dass es besser wäre, überhaupt nicht geboren zu sein. Unser leitender Hintergrundmythos aber wurde, psychologisch gesehen (worauf als erster C. G. Jung und die Vertreter/innen seiner Schule hinwiesen) der Kampf gegen den Drachen und das, wofür er auf der Symbol-Ebene stand: die Erde und das Weibliche, Grab und Geburtskanal zugleich. Unter diesem Aspekt müssten uns die vielen Drachentötergestalten auf unseren Dorfbrunnen eigentlich beunruhigen.




Dass man die Schlange, losgelöst von unserer kulturellen Voreingenommenheit, auch in einen ganz anderen Kontext stellen kann, möchte ich an einem abfließenden Beispiel veranschaulichen: Bei den Ojibway in Kanada ist die (Klapper-)Schlange ein Vorbild für unerschöpfliche Geduld. Auf ihr Verhalten fällt nicht einmal der Schatten einer bösen Absicht.


Die Schlange, so erklären die Ojibway, war bei der Schöpfung eher benachteiligt worden: keine Arme, keine Beine, keine Flügel. Mit derart geringen körperlichen Hilfsmitteln ausgestattet, wurde sie vom Schöpfer dennoch zur Hüterin der Felder, Wiesen und Grünpflanzen bestimmt. Und im Gegensatz zu anderen Tieren (wie etwa dem Vielfraß), die sich beim Großen Geist lauthals über ihr Aussehen beschwerten, ertrug sie ihr Geschick klaglos. Heiter und zufrieden machte sie das Beste aus ihren allerschwächsten Kräften und schützte die Pflanzen, so gut sie es vermochte. Nur mit den gierigen Kaninchen, die unterschiedslos alles fraßen, was ihnen an Grünzeug zwischen die Zähne geriet, kam sie beim besten Willen nicht zurande. Die Kaninchen fraßen sämtliche Blätter, Stiele, Blüten und meist auch noch die Wurzeln aller Pflanzen, die Rinde der jungen Baumtriebe knabberten sie ab. Wo sie sich niederließen, wuchs buchstäblich kein Gras mehr. Die Schlangen aber waren zu schwach, um sich gegen die Kaninchen zur Wehr zu setzen, im Gegenteil machten sich die Kaninchen einen Spaß daraus, die Schlange zu tyrannisieren. Sie zogen sie am Schwanz, setzen sich auf sie, zogen und zerrten sie über den Boden und warfen sie sogar hoch in die Luft, sodass sie blutend auf der Erde aufschlugen. Alle Versuche der Schlangen, sich mit den Kaninchen zu einigen, waren vergebens. Schließlich entschlossen sie sich, den großen Geist um Hilfe zu bitten, weil sie sich außerstande sahen, die ihnen bei der Schöpfung zugeteilte Aufgabe weiter zu erfüllen.




Und der Große Geist hatte Mitleid mit den bedauernswerten Schlangen. So gab er den einen Gift, den anderen die Fähigkeit, ihre Angreifer/innen zu ersticken. Wobei er sie zugleich warnte, diese ihre neue Macht nur im äußersten Notfall zu gebrauchen und es zuerst mit Drohungen zu versuchen (wozu die Klapperschlange natürlich die beste aller Ausstattungen erhielt). Die Schlangen, so scheint es, haben sich daran gehalten. Nachdem die Kaninchen sie auch weiterhin und trotz aller Warnungen zum Spielball ihres Übermuts machen wollten, ließen sie ihren Giftzahn antworten, der auf der Stelle einen der Angreifer tötete. Seine Genoss/inn/en wurden dadurch wirksam in die Flucht geschlagen. Die Schlangen aber, die sich nun endlich gebührenden Respekt verschaffen konnten, sorgten weiterhin aufopferungsvoll für den Schutz der Felder und sicherten damit letztlich allen Wesen das Leben: Pflanzen, Tieren und Menschen.




Den Ojibway erscheint die (Klapper-)Schlange bis heute als Sinnbild der unerschöpflichen Geduld. Sie haben sie in den Kreis ihrer Tier-Totem-Symbole aufgenommen und verehren sie als große Lehrerin für all jene, die lernen wollen, sich in Geduld zu fassen. (vgl. Basil Johnston, S. 47-49; 53) Hier, wie auch bei vielen anderen Völkern des Erdkreises ist die Schlange wieder, was sie zu allen Zeiten und Zonen vorrangig war: Symbol für die Heiligkeit des Lebens und den Ausgleich der Kräfte im Universum.



Aus:
Barbara Stamer, Vera Zingsem, Schlangenfrau und Chaosdrache in Märchen, Mythen und Kunst, Kreuz Verlag Stuttgart 2001


Keywords:
C.G. Jung, Gendercoaching, Gender coaching, Gender-Coaching, Genius, Individualität, Individuum, Kollektiv, Kollektivität, Kreativität, Psychologie, Psychotherapie, Synchronizität, TherapieHera, Inanna, Lilith, Medea, Drache, Schlange, Venus

27
Jul
2007

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GlasdildosimSpiegel1

25
Jul
2007

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Glasmadonna


Glasmadonna

24
Jul
2007

Jene, die die Sechs machen

In den gnostischen Schriften findet sich eine kali-ähnliche christliche Göttin, die von den späteren Herausgebern der Evangelien sorgfältig verschwiegen wurde, als diese alle nur auffindbaren Beschreibungen von ihr vernichteten. In den Clementiner Erinnerungen heißt sie 'all-mütterliches Wesen', 'Königin' und 'Weisheit' (griech. sophia, lat. sapientia). Sie war mit dem ersten Gott bei der Schöpfung der Welt zusammen. Der Tratto Gnostico schrieb, sie war die 'große verehrte Jungfrau, in der der Vater von Anfang an verborgen war, bevor Er überhaupt etwas erschaffen hatte.'



Sogar als Sohn war er noch ganz abhängig von ihr. 'Der Menschensohn' vereinigte sich mit Sophia, seiner Gefährtin, und offenbarte sich in einem hellen Lichte als zweigeschlechtlich. Seine männliche Natur wird der 'Retter', der Er-zeuger aller Dinge genannt, doch seine weibliche Natur heißt 'Sophia, Mutter von allem'. Dieses Vorstellungsbild weist deutlich auf die zweigeschlechtlichen Gestalten hin, die die Vereinigung der männlichen und weiblichen Prinzipien in Kali und Shiva darstellten, die heute noch in ihrer anthropomorphen als auch in ihrer symbolischen Form des Hexagramms in den Höhlen von Ellora zu finden sind.




Eine der gnostischen Sekten, die den coitus reservatus tantrischen Stils ausübte, kann auch für die seltsame christliche Legende von der 'Glaubensprüfung' verantwortlich gewesen sein. Es wird behauptet, daß bestimmte christliche Männer und Frauen nackt in den Armen des anderen schliefen ohne sich lustvollen Begierden hinzugeben; dies sollte als Beweis dafür dienen, daß ihr Glaube stark genug gewesen war, um extremen Versuchungen zu widerstehen. Es mag so gewesen sein, daß sie, wie die tantrischen Weisen, nicht Sexualität an sich kontrollierten, sondern eher den männlichen Orgasmus, ganz entsprechend des Prinzips von maithuna.
Es gibt Hinweise dafür, daß einige Europäer verfeinerte Sexualpraktiken - wie jene der östlichen Weisen - sehr wohl kannten und nicht die simple kirchliche Anweisung befolgten, Sexualität diene nur der Fortpflanzung. Genau wie die Zigeuner 'okkulte' Sexualriten praktizierten, taten dies auch christliche Ketzer, wie z.B. die Brüder und Schwestern des Freien Geistes, die Antinomisten und die Adamiten. Die letztgenannten verehrten einen religiösen Helden, der angeblich seinen Geschlechtsverkehr mit einer 'Prophetin' über zwanzig Tage hinweg ausdehnte und dabei unvorstellbare Höhen spiritueller Gnade erfuhr. Eine Sekte, die den hl. Nicholas verehrte, predigte, daß der 'einzige Weg zur Erlösung über häufigen Geschlechtsverkehr zwischen Partnern führe'.




Die mittelalterlichen Barden, die der Klerus überhaupt nicht mochte, verkündeten ein philosophisches System, in dem die Geliebte im wesentlichen die gleiche Rolle spielte wie die tantrische Shakti und die sufische fravashi, der 'Geist des Weges'. Die Legenden um den berühmten bardischen Liebhaber Tristan enthalten einige witzige Wortspiele, die durchaus absichtliche Botschaften gewesen sein können. Bei der Zusammenkunft mit seiner Geliebten tauschte Tristan die Silben seines Namens aus und stellte sich als 'Tantris' vor, ein Name, der auffällig tantrisch klingt.
Hexen haben wahrscheinlich auch maithuna praktiziert, denn es wurde behauptet, daß trotz der beim Sabbat üblichen Sexorgien keine Frau dabei jemals schwanger wurde. Wenn die männlichen Hexen die Rolle des 'dämonischen Liebhabers' spielten, der darin geübt war, seine Partnerinnen zu erfreuen, könnte dies eine Erklärung für die Behauptung der Kirchenpriester sein, daß Frauen den Liebesakt mit ihren 'Dämonen' mehr genossen als den ihrer christlichen Männer.
Die indischen Frauen beklagten sich genauso über die europäischen Männer: "Die indischen Dirnen des 18. Jahrhunderts verhöhnten europäische Männer wegen ihrer miserablen sexuellen Leistungen und nannten sie 'Misthaufenhähne', für die der Akt in wenigen Sekunden vorüber war."
Das Christentum hat vielleicht der Sexualität den Spaß geraubt, aber für die Heiden, die noch altes Deutsch sprachen, bedeutet das Wort 'Lust' 'religiöse Freude'. Das deutsche Wort 'Hexen' bedeutet 'jene, die die Sechs machen'; ein traditionelles 'Hexenzeichen' hat immer noch sechs Ecken, genau wie das tantrische Hexagramm. Sechs war die heilige Zahl der Aphrodite als Liebesgöttin (in deutsch Minne); aus diesem Grunde bezeichneten christliche Autoritäten die Zahl 6 als 'die Zahl der Sünde'. Alle diese Hinweise scheinen daraufhin zu deuten, daß die Spuren des Yoni-Yantras als auch die der östlichen Heiden in Europa präsent waren.




So wie das Christentum letztlich doch Europa erobert hatte, so eroberte auch eine andere patriarchalische Religion, die Frauen ausschloß, die früheren Gebiete der Göttin im Mittleren Osten. Bevor Arabien unter das Joch des Islam fiel, huldigte die dortige Bevölkerung der gleichen dreifachen Mutter, deren Name Al-Ilat, Al-Uzza und Manat lauteten. Es grenzt schon an Ironie, daß der berühmte 'Schwarze Stein', der jetzt in der Kaaba eingelassen ist, einstmals die Göttin verkörperte und mit ihrem Geschlechtssymbol versehen war. An diesem Ort versammeln sich die Männer und Frauen während ihrer Pilgerfahrt, um das zu küssen, was einstmals das anikonische Abbild der Großen Göttin war. Ihre Priesterinnen gibt es nicht mehr; sie wurden ersetzt durch eine männliche Priesterschaft, der offizieller Titel 'Söhne der Alten Frau' war. Die Alte Frau war nichts anderes als die dreifache Mutter, deren drei Namen 'Die Göttin', 'Die Mächtige' und 'Das Schicksal' bedeuteten. Somit war der frühere weibliche Allah die gleiche Trinität wie die griechische Moerare, die nordischen Nornen, die dreifache Kali oder die drei Aspekte der römischen Fortuna. Heute noch wird einer ihrer Namen von den Arabern benutzt und bedeutet 'Dame Glück'.
Sogar innerhalb des stark patriarchalischen Islam gab es einige Sekten, die sich - mehr oder weniger - an die Göttin erinnerten und darauf beharrten, ein weibliches Element in ihren Glauben einzuführen. Die Sufis hatten in der islamischen Welt eine ähnliche Position wie die tantrischen Yogis in Indien, indem sie das weibliche Prinzip als die wahre einigende Macht der Welt verehrten. Die Sufi-Troubadoure führten viele geheime Schriften und Vorstellungen in die Untergrund-Kultur Europas ein, und dies während eines Zeitalters, als die meisten Europäer auf ihrer Suche nach dem Exotischen, Wunderbaren und Interessanten nach dem Osten blickten. Der Osten war das Land der Märchen, das sich mit dem Märchenorient vermischte, der immer noch in den Fantasien und spirituellen Sehnsüchten des dem Namen nach christlichen Europa vorherrscht.




So wie in Europa die Qualitäten der Göttin hauptsächlich vom Marienkult assimiliert wurden, wandelte sich die Göttin in Arabien zur Fatima, einer mythischen 'Tochter' Mohammeds, die dennoch als 'Mutter ihres Vaters' beschrieben wird. Ihr Name bedeutet 'Schöpferin'. Man nannte sie gleichfalls Schicksal, Mond, Paradiesbaum und Mutter der Sonne. Ihre Verehrung wurde in Arabien mit gleicher Hingabe betrieben wie beim Marienkult in Europa.
Das erste Zentrum des christlichen Ordens der Tempelritter in Jerusalem grenzte an die Al-Aqsa-Moschee, die von den Schiiten als der Haupttempel der Göttin Fatima verehrt wird.





Aus:
Barbara G. Walker, Die Geheimnisse des Tarot. Mythen, Geschichten und Symbolik, Gondrom Verlag Bindlach 1994
(alle Fußnoten dort)



Keywords:
Allah, Al-Ilat, Al-Uzza, Alte Frau, Aphrodite, Barbara G. Walker, Christentum, Fatima, Fortuna, Gnosis, Islam, Kaaba, Kali, Manat, Maria, Marienkult, Mekka, Moerare, Mohammed, Mond, Mutter, Nornen, Paradiesbaum, Priesterin, Religion, Göttin, Schicksal, Schöpferin, Sex, Sexualität, Shiva, Sufi, Sufismus, Sophia, Tantra, Tantrismus, Tarot, Yoni

23
Jul
2007

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